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Interview

08.01.17

"Ich habe meinen Kopf schon immer durchgesetzt"

Im Interview mit HSV.de spricht Mergim Mavraj über seine Eingewöhnung bei den Rothosen, seinen Charakter und die Vorbildrolle von Fußballern.

Mit Mergim Mavraj hat der HSV bislang einen Winterneuzugang präsentiert. Der 30-jährige Innenverteidiger wechselte vom 1. FC Köln an die Elbe. Eingwöhnungsprobleme hatte der gebürtige Hanauer aber nicht. Im Gegenteil. Aufgrund seiner aufgeschlossenen Art und seines interessierten Charakters kann man das Gefühl entwickeln, der albanische Nationalspieler ist schon deutlich länger beim Team als fünf Tage. HSV.de traf Mavraj im Trainingslager in Dubai und sprach mit ihm über die bisherige Eingewöhnung, seinen Charakter und die Vorbildrolle von Fußballern.

Mergim, deine ersten Tage im HSV-Dress liegen hinter dir. Trifft die landläufig oft benutzte Floskel „ich wurde sehr gut aufgenommen“ auch bei dir zu?

Mavraj: Ich muss sagen, die ersten Tage ist man doch ein wenig aufgeregt. Ich kannte einige Spieler von anderen Vereinen (Holtby, Müller, Mickel, Anm. d. Red.), doch es ist ein bisschen wie der erste Schultag. Man ist angespannt, man fragt sich, wie ist die Stimmung innerhalb der Mannschaft, unabhängig davon, wie sie einen persönlich aufnehmen. Zudem war die Konstellation des Wechsels von Köln nach Hamburg ja auch ein bisschen ungewöhnlich. Ich kann sagen, dass ich auf der einen Seite keine Berührungsängste hatte, auf der anderen Seite aber sogar ein wenig überrascht war.

Wovon?

Mavraj: Man sagt: Wenn eine Mannschaft keinen Erfolg hat, dann hapert es oft innerhalb des Teams. In der Regel schlägt es aufs Selbstbewusstsein und aufs Gemüt, wenn man nicht oft gewinnt bzw. auf einem unteren Tabellenplatz steht. Das kann ich in diesem Fall aber nicht bestätigen. Im Gegenteil. Hier ist die Brust breiter und der Kopf oben.

Das hat sicherlich mit den Erfolgen in der Phase vor der Winterpause zu tun.

Mavraj: Das mag sein. Es ist aber nicht nur auf den einzelnen bezogen, sondern auf die gesamte Mannschaft. Die Fitnesswerte sind super. Man merkt auf dem Platz, dass die Mannschaft total kollegial arbeitet. Das ist der Schlüssel zum Erfolg. Da bin ich sehr überrascht, das habe ich auch schon anders erlebt.

Trotzdem wirst du dich ja vorher bei jemanden erkundigt haben?

Mavraj: Ehrlich gesagt bei niemanden, weil das eigene Gefühl davon überzeugt sein muss, dass es das Richtige ist. Ich habe einige Freunde, die schon einmal für den HSV gespielt haben. Oder mein ehemaliger Trainer, Bruno Labbadia, der ja sogar bis vor Kurzem hier gearbeitet hat. Es gab also viele Quellen, die ich hätte anzapfen können, aber ich habe es nicht gemacht. Ich selber möchte mich mit dieser Aufgabe identifizieren. Ob ich es kann oder nicht, muss ich selber in den Gesprächen mit den Verantwortlichen feststellen. Wenn das gegeben ist, dann interessieren mich auch die Meinungen von anderen nicht. Ich muss dafür bereit sein und Woche für Woche dafür arbeiten, das können dann auch nicht andere für mich übernehmen.

Du warst schon mit 20 Jahren Stammspieler beim VfL Bochum in der Bundesliga. Hilft es, lange im Profigeschäft zu sein, um dieses Gefühl über die Jahre zu bekommen?

Mavraj: Bochum ist ein gutes Stichwort. Ich war damals in einer ähnlichen Situation, als ich nach Bochum gewechselt bin. Als 20-Jähriger hört man schon sehr auf seine Eltern, auf seinen älteren Bruder oder auch auf den Berater, aber selbst damals war es mein Bauchgefühl, das entschieden hat. Ich hatte einige andere Optionen, die für die Außenstehenden vielleicht lukrativer oder attraktiver erschienen, aber ich habe meinen Kopf schon immer durchgesetzt. Dieses eigene Gefühl und der Antrieb müssen da sein, damit du auch Phasen überstehst, in denen es mal schlechter läuft. Wenn andere einem etwas schönreden müssen, dann ist es nicht das Richtige. Das war jetzt beim Wechsel nach Hamburg auch so.

Klingt nach einem selbstbewussten Charakter.

Mavraj: Um wichtige Entscheidungen im Leben fällen zu können, braucht man ein gewisses Selbstvertrauen, ein Ur-Selbstvertrauen sozusagen. Manchmal wackelt das, wenn man nicht so gut spielt oder man negative Erlebnisse hat. Um als Charaktereigenschaft die beschriebene Entscheidungsfindung zu haben, braucht man dieses. Ich denke, das habe ich, ohne jetzt arrogant klingen zu wollen.

Ist die kurze Eingewöhnungszeit für dich eine Herausforderung? Immerhin beginnt in zwei Wochen der Pflichtspielbetrieb mit der Partie in Wolfsburg.

Mavraj: Das Einspielen, wie man es immer bezeichnet, ist nicht nur abhängig von mir, sondern auch von den anderen. Sie müssen sich bezüglich meiner Bewegungen und der Interpretation meiner Rolle auch an mich gewöhnen. Es kann sein, dass man vielleicht zwei, drei Trainingseinheiten braucht, aber das geht relativ schnell. Zumal zum Beispiel Johan Djourou auch sehr erfahren ist. Da braucht man nicht viel reden.

Klingt einfach.

Mavraj: Um ehrlich zu sein, gibt es auch nicht viele Lösungen, um dem Gegner den Ball abzunehmen. Die Jungs hier kennen sie, ich kenne sie. Das sind Automatismen, die einfach da sind, wenn man so oft Fußball spielt. Alle Spieler, die neben mir spielen, sind hochtalentiert. Ich glaube, bezüglich des Spiels gegen Wolfsburg, reicht die Zeit locker, um eine solide und feste Abwehr zu haben.

Dennoch werden die Abläufe in Köln doch sicherlich anders gewesen sein?

Mavraj: Jeder Verein hat andere Abläufe, andere Besonderheiten. Am Ende des Tages geht es aber um Fußball und darum, dass man seine Leistung auf dem Platz bringt, dass man ein guter Mitspieler ist, dass man nicht nur die Bälle durch die Gegend kickt, sondern auch für jüngeren Mitspieler eine Stütze ist. 

Wie schnell kann man als neuer Spieler Verantwortung übernehmen und eine Stütze sein?

Mavraj: Jeder Mensch hat grundsätzlich eine Verantwortung, unabhängig in welcher Rolle man ist. Die Taten, die man tut, wie man sich gibt, schaut sich jemand ab. Als Vaterfigur hat man zum Beispiel sehr viel Verantwortung. Dessen muss man sich bewusst sein. Doch auch als Fußballer ist es sehr speziell.

Aufgrund des öffentlichen Interesses?

Mavraj: Als Fußballer orientieren sich nicht nur fünf Leute an dir, sondern einige mehr. Dem versuche ich so gut es geht gerecht zu werden. Ich hatte sehr viele Schlüsselerlebnisse in meinem Leben, worüber ich mir vorher nie Gedanken gemacht habe. Das fängt bei Kleinigkeiten an.

Zum Beispiel?

Mavraj: Da kommt ein Jugendlicher zu dir und sagt: Mergim, ich habe auf deiner Facebookseite gesehen, wie du das und das gemacht hast. In solcher Situation wird man daran erinnert, dass man nicht nur auf dem Fußballplatz Verantwortung hat. Da sage ich mir, ich muss bewusster leben.

Wie würdest du dich denn privat beschreiben?

Mavraj: Mir fällt es extrem schwer, mich selber zu beschreiben. Die Freunde aus meiner Schulzeit würden mich ganz anders beschreiben als es die Leute in Köln tun.

Wir haben dich bislang sehr interessiert, offen und kommunikativ erlebt. Würdest du dem Eindruck zustimmen?

Mavraj: Ich bin schon ein geselliger Mensch, der sich mit Leuten unterhält, gerne rausgeht und keiner, der sich verschließt. Ich möchte wirklich etwas mitnehmen, und nicht nur sagen, ich war als Fußballer in der Stadt und kenne den Weg vom Stadion zu meiner Wohnung und von meiner Küche zur Playstation. Ich möchte auch kulturell etwas mitnehmen.

Nach der Europameisterschaft hast du gesagt, die tolle Rückmeldung im eigenen Land hat dich demütig werden lassen.

Mavraj: Ein bin ein sehr einfacher Mensch, ich lebe einfach, ich denke einfach. Ich orientiere mich auch an den Schwächeren, an denen, die weniger haben, um selber auch geerdeter zu sein. Wenn man in einem Wettkampf ist, muss man genau wissen, was man kann. Es ist aber auch wichtig, demütig zu bleiben, und auch zu wissen, was man nicht kann.

Beim Wettkampf Bundesliga steht der HSV auf Platz 16. Das Ziel ist der Klassenerhalt. Wie gehst du mit der veränderten Situation im Vergleich zu Köln um?

Mavraj: Für jeden Fußballer ist es das höchste Ziel, Spiele zu gewinnen. Das ist in der Champions League genauso wie im Abstiegskampf. Es ist aber ein anderer Druck. Es ist wesentlich einfacher oben zu spielen. Es spiegelt ein bisschen meinen Charakter wider, dass ich diesen Schritt getan habe. Ich habe keine Angst vor dieser Herausforderung.

Es ist aber eine große Herausforderung.

Mavraj: Definitiv. Wir haben aber sehr viele Mittel und sehr viele Werkzeuge, um dieses Ziel zu erreichen. Wir haben super Spieler, eine super Mannschaft und einen super Trainerstab. Die Bedingungen, das Stadion, die Fans, es spricht vieles dafür. Jetzt müssen wir anpacken und keine Angst vor der Aufgabe haben. Die Herausforderung sollte uns nicht hemmen, sondern die Gier nach dem Erfolg nur noch steigern. Wenn wir das schaffen, dann brauchen wir uns vor keiner Mannschaft zu verstecken.

 

Ein Interview mit Mergim Mavraj sowie Bilder aus Dubai seht ihr auch bei HSV total!