U21
24.11.20
Gegen alle Widerstände
Marc Hornschuh hat in seiner Karriere bereits viel erlebt und gesehen. Zuletzt spielte der gebürtige Dortmunder für St. Pauli in der 2. Bundesliga, ehe ihn einige Schicksalsschläge aus der Bahn warfen. Bei der U21 des Hamburger SV möchte er nun zu alter Stärke zurückfinden. Die aktuelle HSVlive porträtiert den Innenverteidiger.
58 Spiele in der 2. Bundesliga, 101 Partien in der 3. Liga, drei Einsätze im DFB-Pokal – schon ein einfacher Blick auf die nackten Zahlen in der Vita von Marc Hornschuh lässt erahnen, auf welch ereignisreiche Karriere der 29-jährige Kapitän der U21 des Hamburger SV zurückblicken kann. Sogar den Gewinn der Deutschen Meisterschaft verbinden die Fußballdatenbanken im Internet mit dem Namen Hornschuh: Im Dortmunder Meisterjahr 2010/11 stand "Horni", wie er von seinen Teamkollegen gerufen wird, ausgerechnet beim Spiel gegen den FC Bayern München im Kader der Borussia, blieb dabei aber ohne Einsatz. Das Bundesliga-Debüt fehlt also noch im Leben des Marc Hornschuh. Doch auch ohne eine Minute gespielt zu haben, möchte er sich den Titel "Deutscher Meister" nicht nehmen lassen: "Ich habe das komplette Jahr mit dem Team trainiert, war immer dabei und durfte nach dem Gewinn der Meisterschaft auch die Feierlichkeiten mitmachen. Dennoch ist es natürlich schade, dass ich damals keinen Einsatz bekommen habe."
VOM ASCHEPLATZ ZUM GROSSEN BVB
Von der Deutschen Meisterschaft mit dem BVB kann Marc Hornschuh vor genau 29 Jahren, als er am 2. März 1991 in Dortmund das Licht der Welt erblickt, nur träumen. Als Dreijähriger tritt der kleine Marc bei den Mini-Kickern des Dortmunder Stadtteilclubs DJK TuS Körne zum ersten Mal gegen das runde Leder. "Damals war das auf unserem alten Ascheplatz aber eher ein Gebuddel im Sand", erinnert sich Hornschuh an seine holprigen Anfänge zurück. Doch unter ständiger Begleitung von seinem Vater, der in der Jugend nicht nur Trainer, sondern fortan auch sein größter Vertrauter und Förderer ist, stellt sich schnell heraus, dass dort auf der Körner Asche ein ganz besonderes Talent heranwächst. Ein Talent, das dem größten Verein in der Stadt nicht verborgen bleibt. Nachdem er bereits als Siebenjähriger von Borussia Dortmund umworben wird, die Familie Hornschuh einen Vereinswechsel aber als deutlich zu früh empfindet, können die Borussen vier Jahre später schließlich den kleinen Marc für sich gewinnen. Für alle Seiten stellt sich dies schnell als absoluter Glücksfall heraus – sowohl sportlich als auch menschlich. "Mein erster Trainer beim BVB war Gary Gordon, der schnell zu einer Vertrauensperson für mich wurde und mit dem ich auch heute noch eng befreundet bin", berichtet Hornschuh über sein besonderes Verhältnis zum heutigen Spielerberater, der ihm fortan sein Leben lang zur Seite stehen soll.
Auch auf dem Platz läuft es für den Innenverteidiger rund. Als absoluter Leistungsträger durchläuft Hornschuh in den folgenden Jahren sämtliche Jugendteams des BVB und macht bei den deutschen U-Nationalmannschaften auch international auf sich aufmerksam. Mit 17 Jahren fährt der Senkrechtstarter zum ersten Mal mit den Profis ins Winter-Trainingslager, ein Jahr später sollen sein Seniorendebüt bei der zweiten Mannschaft und der erste Profivertrag folgen. Seitdem trainiert Hornschuh durchgehend bei den Profis und reist mit dem Team zu zahlreichen Bundesliga- und Europa-League-Spielen, zum Debüt kommt es jedoch nicht. "Das wurmt mich bis heute. Meine Konkurrenten hießen damals Hummels, Subotic oder Bender. Da die zu der Zeit aber selber noch ziemlich jung waren, haben sie leider keine wirklichen Pausen benötigt", blickt Hornschuh etwas wehmütig zurück, lässt aber im gleichen Zuge wissen, dass die Zeit unter Trainer Jürgen Klopp dennoch zu der prägendsten in seiner Fußballer-Laufbahn gehört: "Wir waren eine junge Mannschaft, die nach weniger erfolgreichen Jahren in Dortmund wieder das internationale Geschäft erreicht hat. Das war für viele von uns komplettes Neuland und daher eine sehr besondere Zeit." Auch wenn Klopp dem jungen Hornschuh seinen Traum vom Bundesligadebüt nicht erfüllen konnte, war es laut eigener Aussage der Trainer, der den größten Teil zu seiner Entwicklung als Fußballer und Mensch beigetragen hat: "Klopp hat aus uns damals eine richtige Familie geformt, das ist wohl seine größte Fähigkeit. Auch wenn ich nicht gespielt habe, hatte ich immer das Gefühl, ein vollwertiges Mitglied des Teams zu sein."
AUSBRUCH AUS DER KOMFORTZONE
Die fehlende Spielpraxis und die "eigene Ungeduld" veranlassen Hornschuh im Januar 2012 dann allerdings doch dazu, seine Komfortzone Dortmund zum ersten Mal zu verlassen und sein Glück im 416 Kilometer entfernten Ingolstadt zu suchen. Doch nach nur einem Spiel über 90 Minuten beim damaligen Zweitligisten und zwei weiteren Kurzeinsätzen beenden beide Parteien die ursprünglich für eineinhalb Jahre angedachte Leihe vorzeitig und Hornschuh kehrt nach nur fünf Monaten bei den Schanzern zurück nach Dortmund. "Im Nachhinein ist es natürlich einfach zu sagen, dass der Wechsel die falsche Entscheidung war. Die Mannschaft steckte damals im Abstiegskampf und hatte mit Thomas Oral einen Trainer, mit dem ich mich nicht so gut verstanden habe", sagt Hornschuh. Es sollte nicht die letzte Begegnung mit Oral gewesen sein.
Zurück in seiner Geburts- und Heimatstadt blüht der Verteidiger gleich wieder auf, bestreitet für die Zweitvertretung des BVB, die während seiner halbjährigen Abstinenz in die 3. Liga aufgestiegen ist, fortan in drei Jahren 100 Drittliga-Spiele und avanciert zum absoluten Leistungsträger. Der Traum von der Bundesliga bleibt dennoch, so dass Hornschuh im Sommer 2015 den zweiten Versuch außerhalb des Ruhrgebiets startet und ablösefrei zum Zweitligisten FSV Frankfurt wechselt. Dort hatten die Hessen so gerade den Klassenerhalt geschafft, sich im Saisonendspurt aber von Chefcoach Benno Möhlmann getrennt. Gut für den FSV, schlecht für Hornschuh – denn mit Thomas Oral wird ein alter Bekannter am Bornheimer Hang vorgestellt. Hornschuh hatte bereits im März den Vertrag in Frankfurt unterschrieben, da war die Mannschaft Achter. "Nach meiner Unterschrift hat das Team dann allerdings angefangen, nahezu jedes Spiel zu verlieren. Zwei Wochen vor Saisonende wurde mit Oral dann ein neuer Trainer verpflichtet", erinnert sich "Horni" zurück. Und so kommt es, wie es kommen musste: Trotz einer guten Sommervorbereitung und dem Willen, sich unter erschwerten Bedingungen durchzubeißen, wird Hornschuh mitgeteilt, dass auf andere Spieler gesetzt wird und für ihn kein Platz im Kader sei.
Fünf Spieltage lang sucht man den Namen Hornschuh vergebens auf der Kaderliste des FSV, bis ein Anruf aus Hamburg für eine überraschende Wende in der Karriere des damals 24-Jährigen sorgt. St. Paulis Trainer Ewald Lienen will den 1,88 Meter großen Verteidiger unbedingt in seinem Team haben. Es folgt für Hornschuh der zweite Vereinswechsel innerhalb einer Transferperiode, aber endlich ein komplettes Jahr, in dem ausnahmslos auf seine Dienste gebaut wird. 27 Zweitligaspiele, davon 24 über 90 Minuten, belegen das ihm entgegenbrachte Vertrauen. "Das war wirklich ein überragendes Jahr für das Team, aber auch für mich persönlich. Ich habe viel gespielt und wir haben die Saison auf einem starken vierten Tabellenplatz abgeschlossen", erinnert sich der Dortmunder gerne zurück. Der FSV Frankfurt stieg in dieser Saison übrigens in die 3. Liga ab. Böses Blut zwischen Hornschuh und Thomas Oral gibt es laut eigener Aussage allerdings nicht mehr: "Wir haben heute noch gelegentlich Kontakt. Er hat mir im Nachhinein gesagt, dass er mich eigentlich nie aus Frankfurt hätte ziehen lassen dürfen, weil ich fußballerisch einen riesigen Schritt nach vorne gemacht habe."
2017 ALS SCHWERES SCHICKSALSJAHR
Zweieinhalb Jahre lang macht Hornschuh nahezu jedes Spiel für die Hamburger, ehe ihn im September 2017 seine erste schwere Verletzung komplett aus der Bahn wirft. Ein Bandscheibenvorfall und eine damit einhergehende Kompression der Nerven, die beim Aufwärmen plötzlich ausbricht, setzen den damals 26-Jährigen 450 Tage lang außer Gefecht. Die Ursache für die schwere Verletzung vermutet Hornschuh heute auch im mentalen Bereich, denn das Jahr 2017 sollte nicht nur aufgrund der sportlichen Hiobsbotschaft zum schwierigsten in seinem Leben werden. Kurz zuvor verstirbt mit seinem Vater, der bereits seit acht Jahren in einer Pflegeeinrichtung lebt, Marcs engster Vertrauter. Im gleichen Jahr bekommt seine Mutter die Diagnose Lungenkrebs, gegen den sie eineinhalb Jahre später den Kampf ums Leben verlieren sollte. "Das war körperlich und mental einfach eine brutal schwere Zeit, die den Heilungsverlauf meiner Verletzung sicherlich auch beeinflusst hat. Dennoch konnte ich aus dieser Zeit, auch wenn es für meine Karriere natürlich schädlich war, eine Menge mitnehmen", blickt Hornschuh auf die härteste Phase seines Lebens zurück. Der Rekonvaleszent lernt, Geduld zu haben und zu akzeptieren, dass er seinem Körper die nötige Zeit geben muss, um vollständig zu regenerieren. Zudem entwickelt er ein deutlich sensibleres Gefühl für seinen Körper, fängt an, die enge Verbindung zwischen Korpus und Geist zu verstehen und lernt, einschätzen zu können, "ob eine Verletzung wirklich schwerwiegend ist oder ob man über den Schmerz drübergehen kann." Mithilfe dieser neuen Erkenntnisse kämpft sich Hornschuh zurück und bestreitet in der Saison 2019/20 gleich die ersten beiden Zweitliga-, sowie ein DFB-Pokal-Spiel. Doch dann zieht der damalige St. Pauli-Trainer Jos Luhukay die Zügel in den nächsten Wochen vor allem im körperlichen Bereich hart an. Für Hornschuh, der sich gerade von einer eineinhalbjährigen Verletzungspause erholt hatte, zu viel des Guten. Sein Körper reagiert mit einer Überbelastung und setzt ihn erneut für einige Monate außer Gefecht.
ZURÜCK ZU ALTER STÄRKE?
Es folgt die Corona-bedingte Spielunterbrechung und der anschließende Wechsel zur U21 des Hamburger SV. "Das Interesse von höherklassigen Teams war durchaus da, doch der Tenor war eigentlich bei allen, dass sie erst einmal schauen wollen, ob ich wieder voll belastbar bin", erklärt Hornschuh, der kurz darauf einen Anruf von seinem ehemaligen U19-Nationaltrainer und heutigen Nachwuchsdirektor des HSV erhält: "Horst Hrubesch hat mir angeboten, als erfahrener Spieler die U21 zu unterstützen. Auch wenn ich aufgrund der Ligazugehörigkeit natürlich kurz zögern musste, haben mich die Gespräche mit den Verantwortlichen und die Infrastruktur im Verein total überzeugt, so dass ich mich mit einem richtig guten Gefühl für den HSV entschieden habe." Seitdem zeigt der 29-Jährige Woche für Woche, dass er wieder voll belastbar ist. Und überzeugt mit Leistung. Nur mit der Punkteausbeute kann die U21 laut Hornschuh bisher nicht ganz zufrieden sein: "Diesbezüglich sind wir noch nicht da, wo wir sein wollen. Der Fokus sollte in den nächsten Partien darauf gesetzt werden, dass wir noch erwachsener und zielstrebiger werden. Da möchte ich natürlich vorangehen und meinen Teil zu beitragen." Was seine Platzzeit anbelangt, klappt das bislang schon sehr gut: Als neu gewählter Kapitän verpasste Hornschuh wegen einer Kopfverletzung bisher nur eine Partie. Ganz zur Freude von U21-Chefcoach Pit Reimers: "Marc ist ein bodenständiger, verlässlicher Typ und nicht nur für mich, sondern für die gesamte Mannschaft ein wichtiger Ansprechpartner. Für ihn ist es wichtig, dass er nach langer Verletzungszeit gesund und stabil ist. Er verkörpert genau das, was wir uns vorgestellt haben." Nur in einer Sache herrscht noch Steigerungsbedarf, wie Reimers mit einem Augenzwinkern hinzufügt: "Laut eigener Aussage hat Marc in den vergangenen Jahren einige Tore nach Standards erzielt. Den Beweis ist er uns bisher allerdings noch schuldig geblieben." Doch auch ohne bisherigen Torerfolg fühlt sich Hornschuh wohl und ist glücklich, endlich wieder regelmäßig Spielzeit zu bekommen, um zu alter Stärke und Fitness zurückzufinden. Auch deshalb haben sich die Parteien bei der Vertragsunterzeichnung im Sommer ganz bewusst dazu entschieden, die Laufzeit zunächst einmal auf ein Jahr zu begrenzen. Die Begründung dafür ist einleuchtend: Mit 29 Jahren hat Hornschuh noch Ziele in seiner Karriere. "Mein Ehrgeiz ist immer noch riesig. Allein, weil ich allen zeigen möchte, dass ich noch auf hohem Niveau performen kann. Mein Ziel ist es, noch einmal so hoch wie möglich Fußball zu spielen." Und sich irgendwann vielleicht doch noch den Traum von der Bundesliga zu erfüllen.