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Interview

11.07.19

„Ich kann bisher ein gutes Zeugnis ausstellen“

Im Interview mit HSV.de spricht Cheftrainer Dieter Hecking über den bisherigen Stand der Vorbereitung, den Findungsprozess der neuen Mannschaft und die wichtige Aufgabe, die Kräfte des HSV zu einem großen Ganzen zu bündeln.  

Dieter Heckings Zielvorgabe zum Start des einwöchigen Trainingslagers im österreichischen Kitzbühel war gewohnt bestimmt und prägnant formuliert: „Wir haben nicht so viel Zeit. Wir haben zwei Testspiele, die im Fokus stehen werden. Ich will sehen, dass die Mannschaft voll mitzieht und immer den Glauben daran hat, auch gegen vermeintlich stärke Gegner Spiele gewinnen zu können. Entscheidend ist, dass wir als Gruppe schnell zusammenwachsen und die Abläufe reinkriegen.“ Die 26 mitgereisten Akteure sind in den ersten dreieinhalb Trainingstagen dieser Anweisung motiviert und zielgerichtet gefolgt. In den Trainingseinheiten lässt sich ein hohes Maß an Intensität, Einsatzbereitschaft und Willenskraft beobachten, beim gestrigen Testspiel gegen den potentiellen Champions-League-Teilnehmer Olympiakos Piräus steckten die Rothosen wiederum trotz Widerständen nicht auf und erspielten sich ein mehr als verdientes 1:1-Remis.

Dieter Hecking hat die gute Arbeitsmoral seiner Schützlinge am heutigen Donnerstag mit einem freien Nachmittag belohnt und stellt seiner Mannschaft im Interview mit HSV.de ein positives Zwischenzeugnis aus. Darüber hinaus sprach der 54-Jährige unter anderem über den Findungsprozess der neuen Mannschaft, sein Rollenverständnis innerhalb des Trainerteams und das große Ganze beim HSV. 

Dieter Hecking, gut die Hälfte des Trainingslagers liegt hinter uns. Fünf Einheiten auf dem Platz, zudem ein 1:1-Unentschieden im Testspiel gegen Olympiakos Piräus. Wie zufrieden sind Sie bislang mit der Arbeit hier in Österreich?

Zunächst muss man sagen, dass wir hier wirklich sehr gute Bedingungen vorfinden. Die Trainingsplätze sind hervorragend und auch im Hotel ist alles bestens. Jeder Wunsch wird uns von den Lippen abgelesen. Bezüglich dieser Voraussetzungen können wir sehr zufrieden sein. Was das Training und das Testspiel angeht, hat man immer gewisse Vorstellungen, was man gern durchbringen möchte und wie die Mannschaft mitziehen soll. Ich kann ihr in diesen Punkten bisher ein gutes Zeugnis ausstellen. Wir haben kleinere Wehwehchen, aber das ist normal in einem Trainingslager. Wenn wir so weitermachen und die Spieler gesundheitlich gut durchkommen, dann wären die ersten Grundlagen gelegt.   

Neben Ihrem Trainerteam gibt es viele neue Gesichter in der Mannschaft, vieles muss sich neu finden, nicht nur auf dem Platz. Auf der anderen Seite steht in rund zweieinhalb Wochen der Saisonstart an. Auf was liegt im Moment das Hauptaugenmerk?

Es gibt viele Augenmerke, auf die ich jetzt aufpassen muss. Zunächst geht es darum, diese neue Truppe zusammenzubringen. Wir haben im Staff sieben neue Personen und bei den Spielern neun Neuzugängen. Das alles mit dem "Alten" zusammenzuführen, ist eine riesige Aufgabe für uns alle. Die Leute müssen sich mit Jonas Boldt, Michael Mutzel und mir erstmal auf neue Chefs einstellen. Man sagt immer, das sei einfach, aber das ist es nicht. Schließlich bringt man andere Ideen und Philosophien als die Vorgänger mit und muss die Mannschaft dafür gewinnen. Wir haben aber generell eine gute Grundstimmung und versuchen damit auch den möglichen Frust, der bei dem einen oder anderen noch aus der Vorsaison herrschen könnte, aufzuweichen, so dass man mit neuer Energie in die Zukunft schauen kann. Für diesen Prozess tun uns die vielen neuen Gesichter richtig gut.   

Sie haben bereits in über 400 Spielen Erfahrung in der Bundesliga gesammelt, nur zehn Kollegen haben in der Geschichte der Liga häufiger auf der Bank gesessen. Wie gehen Sie selber mit eigenen Veränderungen um, denn was vor 10 Jahren top war, ist heute vielleicht nicht mehr gefragt?

Die Veränderungen werden einem allein durch das Alter bewusst. Mittlerweile bin ich der Älteste im Stab - das war früher nicht so. Dirk und ich arbeiten jetzt seit 18 Jahren zusammen. Das ist wie bei einem alten Ehepaar. Jeder kennt die Gewohnheiten des anderen. Deshalb habe ich mich bewusst für einen jüngeren Co-Trainer an meiner Seite entschieden. Ich wollte einen Umbruch im Trainerstab haben mit einem jungen Co-Trainer, der vom Alter näher an den Spielern dran ist und neue Ideen in die Trainingsarbeit einbringt. Auch die sportliche Führung um Jonas Boldt und Michael Mutzel ist deutlich jünger als ich. Auch von ihnen möchte ich profitieren und erfahren, wie sie gewisse Dinge angehen, die vielleicht bei unserer Trainergeneration überholt sind. Ich bin froh, um diese Erfahrung des Neuerfinden und Weiterentwickeln. 

Dirk Bremser ist ihr langjähriger Co-Trainer, den sie schon mal als Ihre zweite Ehefrau bezeichneten. Dazu kommt jetzt mit Tobias Schweinsteiger ein junger Vertreter. Beobachtet man das Training, fällt auf, dass die beiden die Übungen oft durchführen und Sie die Aufmerksamkeit dann auf Details richten. Wie ist die Rollenverteilung?

Als Cheftrainer musst du das große Ganze im Auge haben, die Fehler erkennen und in die Detailarbeit reingehen. Dabei ist mir wichtig, dass die Co-Trainer die Übungen anleiten. Wenn es um das Spieltaktische geht, übernehme ich das Regiment und erkläre, wie ich es haben möchte. Es ist in diesem Kontext auch wichtig, dass du dich als Cheftrainer nicht verbrauchst. Wenn du permanente Ansprachen machst, dann kann es schnell passieren, dass die Spieler dich irgendwann leid sind. Ich spiele gern mit dieser Rollenverteilung und das Vertrauen in meine Co-Trainer spiegelt das wider. Mit Tobi und den Athletik-Trainern, die wir ja übernommen haben, fühlt sich das bisher sehr gut an.   

Bei Ihren bisherigen Stationen haben Sie sich sehr mit dem jeweiligen Verein auseinandergesetzt. In Gladbach fiel einmal der Satz: „Wenn ich in Gladbach über den Flur gehe, spüre ich, dass die Leute sagen: Das ist unser Trainer!“ Wie gehen Sie dieses Vorhaben in Hamburg an?

Indem ich einfach ich selbst bin. Wer mich kennt, der weiß, dass ich nie den Bundesliga-Trainer herauskehre oder abgehoben daherkomme. Ich habe das große Glück, dass ich Fußball-Trainer sein darf. Das ist ein Traumjob. Mir ist wichtig, dass die Leute wissen, dass ich weiß, woher ich komme und dass ich weiß, wie schwer es ist, in Zeiten des Misserfolgs in der Geschäftsstelle zu arbeiten und Rede und Antwort zu stehen, wenn es Häme gibt. Ich möchte den Mitarbeitern des HSV dieses Gefühl geben. Sie sollen das Gefühl haben, dass sie mitgenommen werden und jeder seinen Anteil am Erfolg und Misserfolg haben kann. Ich habe es immer so erfahren, dass bei Vereinen, die für das große Ganze stehen, der Erfolg da ist, weil man auch im Misserfolg sehr eng zusammensteht und nichts an sich heranlässt. Wenn es diesbezüglich ein paar Spalte gibt, in die von außen Einflüsse einkehren, dann ist viel Unruhe drin. 

Wie sollen der HSV und die Mannschaft in der nahen Zukunft wahrgenommen werden?  

Der Ruf des HSV hat in den letzten Jahren gelitten. Dennoch hat der Club nach wie vor eine riesige Anziehungskraft und eine große Wahrnehmung in den Medien. Es gibt so viele HSV-Fans und überall wird gesagt, dass der HSV wieder in die Bundesliga muss. Es wird die Aufgabe sein, diesen Leuten zu verdeutlichen, dass wir nicht mehr Spieler wie Manni Kaltz, Felix Magath oder Horst Hrubesch, die beim HSV für eine total erfolgreiche Zeit stehen, in unseren Reihen haben. Nein, wir haben eine Mannschaft, die in der 2. Liga spielt. Diese Mannschaft ist sehr ambitioniert und motiviert, braucht aber auch die komplette Unterstützung des Gesamtvereins und der Fangemeinde. Das gilt besonders in schwierigen Phase. Auch in dieser Saison ist der Aufstieg kein Selbstläufer. Das sollte man immer wissen und die nötige Demut mitbringen.