Nachwuchs
18.06.21
Helsinki, Hamburg und ein zu Hause
Mit gerade einmal 16 Jahren wagten Juho und Jesse Kilo jeweils den Sprung ins Ausland und zum HSV. Im HSVlive-Interview erzählen die beiden finnischen Youngster, wie es sich anfühlt, fernab der Heimat zu Hause zu sein, was sie mit Hamburg verbinden und wo sie sich auf dem Feld am wohlsten fühlen.
An einem trainingsfreien Tag mal kurz nach Hause fahren, spontan die Eltern und alten Freunde besuchen, einen Rückzugsort außerhalb des Internats haben. Während das für meisten Nachwuchsspieler im HSV-Campus Normalität ist, sind spontane Heimatbesuche für Juho und Jesse Kilo so einfach nicht möglich. Die beiden finnischen U-Nationalspieler leben mehr als 1.500 Kilometer entfernt von ihrer Familie in Helsinki. Um sich ihren großen Traum einer Fußballerkarriere zu erfüllen, zog es die Geschwister schon während ihrer Jugend aus der finnischen Hauptstadt und von ihrem Heimatverein Käpylan Pallo an die Elbe: Juho Kilo schnürt seit 2018 die Schuhe für die Rothosen, Jesse ist seit Beginn des vergangenen Jahres für den HSV im Einsatz. Im HSVlive-Interview berichten die Geschwister, inwiefern sie das Zusammenleben an der Alexander-Otto-Akademie noch stärker aneinander gebunden hat, was für sie ein Zuhause ausmacht und wieso sich die Distanz zu ihrer Familie trotz allem nicht so groß anfühlt.
Jungs, Hand aufs Herz! Welche Stadt ist schöner: Hamburg oder Helsinki?
Jesse: Helsinki, ganz klar. Das ist für mich Familie, das ist zu Hause. Deshalb gewinnt immer Helsinki – egal gegen welche Stadt. (lacht)
Juho: Das stimmt, ich würde auch immer Helsinki sagen. Tatsächlich sind sich beide Städte aber recht ähnlich: Sie liegen am Wasser, haben viele Kanäle und eine vergleichbare Architektur. Vielleicht hat es uns beide auch deshalb nach Hamburg
verschlagen.
Trotz eurer Verbundenheit zu eurer Heimat habt ihr beide schon in jungen Jahren den Sprung nach Deutschland gewagt. Juho, du bist bereits seit 2018 bei uns an der Alexander-Otto-Akademie, hast deinen Vertrag jetzt sogar bis 2023 verlängert. Jesse, du bist dann im vergangenen Jahr dazugekommen. Was hat für euch den Ausschlag pro Hamburg gegeben?
Juho: Mein Jugendverein war Käpylän Pallo, ein Stadtteilverein bei uns in Helsinki. Käpylän und der HSV sind vor ein paar Jahren eine Kooperation eingegangen, um die finnischen Spieler noch mehr zu fördern. Damals hat sich der HSV stark um mich bemüht und mir ganz konkret gezeigt, wie ich mich hier noch verbessern kann. Das fand ich gut. Außerdem wusste ich, dass damals mit Tobi Fagerström und Anssi Suhonen schon zwei finnische Spieler hier lebten und sich sehr wohl gefühlt haben.
Jesse: Bei mir war es ähnlich. Ich habe auch bei Käpylän gespielt und wollte dann den nächsten Schritt machen. Dass Juho schon hier gelebt hat, war für mich natürlich auch ein Grund, nach Hamburg zu wechseln und nicht woanders hin. Das hat mir die Entscheidung schon erleichtert.
Weit weg von zu Hause, weit weg von eurer Familie, dazu die Sprachbarrieren. Habt ihr je darüber nachgedacht, dass das zu viel sein könnte?
Juho: Nein, das habe ich ehrlich gesagt zu keinem Zeitpunkt gedacht. Die Ähnlichkeit von Hamburg und Helsinki hat es mir irgendwie einfach gemacht, hier anzukommen, weil ich die Stadt direkt cool fand. Deshalb war ich von Anfang an sehr positiv. Die Sprache war zunächst das größte Problem. Das habe ich aber gar nicht als so schlimm empfunden. Alle Mitspieler und die Pädagogen im Internat sind sehr nett. Dadurch habe ich mich schnell wohl gefühlt und es als nicht so schlimm empfunden, dass ich noch ein paar Fehler in der Aussprache hatte oder Wörter nicht kannte. Ich hatte eine sehr gute Deutschlehrerin, die mir am Anfang viermal in der Woche Unterricht gegeben hat. So habe ich die Sprache recht schnell gelernt. Aber klar, insgesamt ist es etwas ganz anderes, im Internat oder zu Hause zu wohnen. Das war die größere Umstellung als die Stadt an sich. In Helsinki haben Jesse und ich zu viert mit unseren Eltern zusammengewohnt. Hier wohnst du dann plötzlich mit 15 anderen Spielern zusammen, ständig ist was los und alles dreht sich um Fußball. Das war eine Umstellung. Bis ich wirklich sagen konnte, ich fühle mich hier zuhause, hat es schon etwas länger gedauert.
Jesse: Bei mir war es ein bisschen anders, weil mit Juho ja schon ein wichtiger Mensch aus meiner Familie hier wohnte. Ich war also nicht allein. Trotzdem hat es länger gedauert als ich dachte, bis ich richtig angekommen bin. Ich bin im Januar 2020 hier im Internat eingezogen. Das war quasi zu Beginn der Pandemie. Dadurch konnte ich meine Mitspieler alle nicht so gut kennenlernen, weil nicht mehr gespielt oder trainiert wurde. Und der Grund, warum ich hergekommen bin, war auch weggefallen: Das Fußballspielen. In der Zeit wurde es nochmal wichtiger für mich, dass ich mit Juho schon jemanden hatte, den ich kenne und der mich unterstützt. Mittlerweile fühlen sich Hamburg und auch das Zusammenleben mit den Jungs im Internat aber für mich ganz normal an.
Ihr lebt nicht nur am gleichen Ort, sondern habt auch beide einen ähnlichen Alltag und den gleichen großen Traum. Inwiefern hilft es euch, dass ihr eine direkte Bezugsperson habt, mit der ihr all das teilen könnt?
Juho: Das hilft natürlich total. Die anderen Jungs aus unseren Mannschaften sind auch alle in einer ähnlichen Situation: Alle wollen Fußball spielen, alle wollen ihr großes Ziel erreichen, ständig besser werden. Aber wenn du dann noch jemanden dabei hast, der sich so gut kennt wie wir uns, dann ist das nochmal eine ganz andere Ebene.
Jesse: Wir haben einfach eine sehr gute Beziehung, die auch schwierige Phasen einfacher macht. Und die jetzt sogar noch etwas enger ist als zu Hause in Finnland, weil wir noch mehr zusammen sind. Und Mama und Papa beruhigt es auch, dass wir hier zu zweit und nicht allein sind.
In wenigen Wochen ist das Zusammenleben unter einem Dach dann wieder Geschichte, da Juho jetzt als U21-Spieler aus dem Internat ausziehen wird. Hast du dich in deiner neuen Wohnung schon eingerichtet?
Juho: Nein, eingerichtet ist noch zu viel gesagt. (lacht) Aber unsere Eltern sind gerade hier in Hamburg zu Besuch, so dass wir jetzt zu viert damit anfangen. Nach den Sommerferien ziehe ich dann final um. Ich habe noch nie allein gewohnt und kann mir das noch gar nicht richtig vorstellen. Das wird bestimmt erstmal komisch. Aber es ist eine schöne Wohnung in Niendorf und es sind nur vier Stationen bis Hagenbecks Tierpark, ich bin also schnell hier am Campus. Außerdem ist es gut, wenn ich mal Besuch bekomme, weil der dann bei mir wohnen kann. Das war bisher im Internat eher schwierig.
Ihr habt ein sehr enges Verhältnis zu eurer Familie, insbesondere zu euren Eltern daheim in Helsinki. Wie schafft ihr es, trotz der Distanz die Nähe zu bewahren?
Jesse: Das klappt ziemlich gut. Als ich neulich wegen einer Außenbandverletzung nicht trainieren durfte, war ich für drei Wochen zu Hause. Mit dem Flugzeug kommt man in eineinhalb, zwei Stunden nach Helsinki. Wenn nicht gerade Corona ist, machen das unsere Eltern auch häufig und besuchen uns drei- oder viermal pro Saison. Und bei Anlässen wie jetzt dem Umzug kommen sie auch gerne vorbei. So weit ist die Entfernung dann gar nicht. Andere Jungs brauchen mit dem Auto hier in Deutschland fast länger, um ihre Eltern zu besuchen.
Juho: Und ansonsten greifen wir halt zum Telefon. Wir sprechen schon viel mit unseren Eltern, aber auch unsere Großeltern sind immer mal wieder in Video-Konferenzen dabei. Das ist echt schön. Und seit neulich ist auch unser Hund Sydney mit dabei, der ist quasi unser neuestes Familienmitglied. Wir verbringen als Familie sehr viel Zeit damit, zu reisen. Als wir jung waren, haben wir vier- bis fünfmal im Jahr Urlaub gemacht. Die längste Reise war nach Australien, das war richtig schön. Als kleine Erinnerung daran heißt der Hund eben Sydney und ist jetzt auch immer mal im Hintergrund am Telefon zu hören. (lacht)
Harmoniert ihr eigentlich auch auf dem Spielfeld so gut?
Juho: Ja, schon. Wir ergänzen uns gut. Wir haben ähnliche Positionen, aber einen unterschiedlichen Spielstil. Ich bin einen Tick defensiver unterwegs, verteile die Bälle mehr.
Jesse: Juho hat einen guten Überblick über das Spiel, ist zweikampfstärker als ich. Ich bin eher Stürmer oder offensiver Mittelfeldspieler, kann gut dribbeln und habe viel Tempo.
Juho: Wenn wir in Zukunft in der A-Nationalmannschaft zusammenspielen sollten, kann ich ihm also die Bälle auflegen und er macht die Tore. (lacht)
Jesse: Dann steht im Spielberichtsbogen später Tor: J. Kilo. Assist: J. Kilo. (lacht) Das klingt verrückt, aber ein kleiner Traum von uns beiden ist das schon.
Euer Alltag besteht hier im NLZ normalerweise aus vielen Mannschaftstrainings, Einzeleinheiten im Kraftraum und natürlich den Spielen am Wochenende. In der Corona-Pandemie ist das teilweise komplett weggefallen beziehungsweise war nur sehr reduziert möglich. Wie habt ihr diese Zeit verbracht?
Jesse: Mit ziemlich viel Zeit vorm Rechner. Wir gehen beide noch zur Schule und besuchen ein Gymnasium in Helsinki, das ausschließlich Online-Kurse anbietet. Wir besuchen die Kurse, müssen dazu Aufgaben und Klausuren im Internet lösen und sprechen dann über Telefon mit den Lehrern, was gut war und was nicht. Das nimmt schon viel Zeit in Anspruch.
Juho: Die meisten Schüler sind da etwas älter als wir und machen die Schule parallel zum Job. Für uns ist das optimal, weil wir so noch auf einer finnischen Schule sein können. Ich habe nur noch ein paar Kurse und bin dann fertig, da freue ich mich trotzdem drauf.
Jesse: Bei mir dauert es etwas länger. Ich habe letztes Jahr erst angefangen und brauche noch dreieinhalb Jahre. Das ist echt anspruchsvoll, man braucht viel Disziplin. Aber unsere Pädagogen Herr Engler und Herr Spincke helfen uns da auch viel. Was unseren Alltag angeht, ist es natürlich gerade schade, dass wir nicht viel trainieren und nicht spielen dürfen. Denn dafür bin ich ja nach Hamburg gekommen. Ich hoffe einfach, dass das in der kommenden Saison wieder möglich ist. Ohne Fußball ist es langweilig.
Blicken wir zum Abschluss auf die bevorstehende Saison, in der wir hoffentlich wieder ein geregelteren Spielbetrieb gehen können. Welche Ziele nehmt ihr für die Spielzeit mit?
Jesse: Ich will endlich wieder auf dem Platz stehen, freue mich auf meine neue Mannschaft und hoffe, einfach wieder viel Spaß beim Fußball spielen zu haben.
Juho: Bei mir geht’s auch darum, viel aufzusaugen und das zu genießen. Ich habe meinen Vertrag bis 2023 verlängert und will mich jetzt noch einmal beweisen. Deshalb freue ich mich einfach, wenn wir alle wieder angreifen können. In der Liga wollen wir dann natürlich möglichst jedes Spiel gewinnen.