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Trainingslager

04.08.16

Bahoui: "Ich bin einem spielenden Kind sehr dankbar"

Nabil Bahoui hat in der Vorbereitung keine Einheit verpasst und wirkt gelöst, wie nie zuvor. Das hat mitunter auch mit seiner Vergangenheit zu tun, in der der Schwede einige Umwege gehen musste, um in die dankbare Position von heute zu kommen.

Bei einer der letzten Trainingseinheiten in Harsewinkel konnte man es wieder eindrucksvoll beobachten: Eddy Sözer und Stefan Wächter hatten einige Spieler zum Lattenschießen von der Strafraumkante herausgefordert. Neben Pierre-Michel Lasogga, Aaron Hunt und Michael Gregoritsch trat auch Nabil Bahoui an. Der Schwede scherzte, lachte und feierte mit seinen Kollegen bei jedem Schussversuch. Mittendrin statt nur dabei, wie man so schön sagt. Bahoui, der am letzten Tag der Wintertransferperiode Ende Januar in die Hansestadt gewechselt war, scheint nach der bislang absolvierten Sommervorbereitung endgültig beim HSV angekommen zu sein. „Es stimmt. Ich fühle mich im Moment richtig gut und absolut wohl. Ich bin fit und komme immer besser zurecht“, bestätigt der 25-jährige Mittelfeldspieler den gewonnenen Eindruck.

In Guldish begann die Karriere

In den ersten Monaten war das nicht immer der Fall. Verständlich, wenn man die Geschichte von Bahoui ein wenig verfolgt hat. Vor gut einem Jahr wechselte er als aufstrebender Nationalspieler von einem der größten schwedischen Vereine, AIK Solna, zu Al-Ahli Dschidda nach Saudi-Arabien. Ein ungewöhnlicher Schritt, den viele Experten und Fans nicht nachvollziehen konnten. Nach gut fünf Monaten und nur zehn Spielen beim aktuellen Meister des Landes war das Abenteuer dann auch schon wieder vorbei und Bahouis Weg führte zum HSV. Wieder ein neues Land. Eine neue Sprache. Und vor allem eine neue Liga, die zu den stärksten in Europa zählt. Kein leichtes Unterfangen. Doch für Bahoui genau der richtige Schritt, um sich zu beweisen. Wenn man dies verstehen will, dann muss man den Werdegang des Schweden mit marokkanischer Abstammung kennen.

"Meine Mutter sah eine Schlägerei und dachte: 'So soll mein Sohn nicht werden'"

Aufgewachsen im Stadtteil Guldish in Stockholm, war die Jugendzeit nicht immer leicht für Bahoui. Das Arbeiterviertel, dessen Namen er auch auf seinen Fußballschuhen eingestickt hat, weist ein großes soziales Gefälle auf, leicht kann man dort auch auf die schiefe Bahn geraten. Nabil wuchs in einem großen Wohnblock auf. „Wir waren als Kinder oft draußen, haben mit ca. 15 anderen Jungs Fußball im Innenhof unseres Blocks gespielt“, verrät er. Seine Mutter sah die Begeisterung für den Ball und das Bewegungstalent früh und spielte schon lange mit dem Gedanken, ihn bei einem Verein anzumelden. Erst ein einschneidendes Erlebnis gab dann aber den entscheidenden Ausschlag. „Sie kam von der Arbeit nach Hause und hat auf dem Weg eine Schlägerei zwischen vielen Jugendlichen gesehen. Ihr Gedanke war sofort: So soll mein Sohn nicht werden. Er braucht neben der Schule eine Aufgabe, die ihm Spaß macht und ihn weiterbringt“, erklärt Bahoui.

Zwei entscheidende Spiele

Gesagt, getan. Nabil fing mit fünf Jahren bei Mälarhöjdens IK an, den Ball hinterher zu jagen, einem Verein, dessen Platz direkt um die Ecke lag. „Dort hatte jedes Kind die gleichen Einsatzzeiten bei den Spielen“, erinnert sich Bahoui. Da er schon früh Tore am Fließband schoss, wurde schnell klar, dass es für ihn woanders hingehen musste. So meldeten ihn seine Eltern nach nur einem Jahr bei Fruängen an, wo er mit zwei Jahre älteren Mitspielern trainierte. In der Jugend wurde dann der IF Brommapojkarna auf ihn aufmerksam, dessen Verantwortliche ihn 2003 im Alter von 12 Jahren von einem Wechsel überzeugen konnten. Es begann eine Karriere mit Höhen und Tiefen. Und zwei ganz entscheidenden Spielen, wie Bahoui verrät. „Es gibt zwei Erlebnisse, die für meine Entwicklung einschneidend und prägend waren“.

"Ich habe getönt, ich werde wie Zlatan"

Das erste betrifft den Weg nach oben: Bahoui war mit 17 im Kader der Ligamannschaft von Brommapojkarna, hatte aber keine Chance auf einen Einsatz. Da sich zum Ende der Saison aber gleich mehrere Stürmer verletzten, blieb dem damaligen Trainer nichts anderes übrig, als in einem der entscheidenden Spiele auf den Nachwuchsmann zu setzen. Es war kurz vor Saisonende im Spiel gegen den Erzrivalen Gelfe. "Das ist ungefähr so, als wenn wir mit dem HSV gegen Werder Bremen spielen. Ich habe ein Tor geschossen und wir haben 1:0 gewonnen“, sagt er mit einem Lächeln im Gesicht. Es war der Türöffner für den ersten Sprung in seiner Karriere. „Ich war damals jung und habe im Anschluss große Töne gespukt. Getönt, ich werde wie Zlatan“, erzählt er. Das Gegenteil trat ein. In der Folgesaison wurde er kaum eingesetzt, sein Stern verschwand wieder und Bahoui ließ sich an verschiedene Farm-Teams des Vereins ausleihen. „Eine wichtige Erfahrung für mich. Ich habe damals einiges falsch gemacht. Das kann ich aber erst mit ein bisschen Abstand sagen“.

Plötzlich tauchte ein Kind auf

Es kam zum zweiten entscheidenden Aha-Erlebnis: In einem Spiel für Akropolis IF in einer unteren Liga sprintete Bahoui auf der linken Außenbahn einem Ball hinterher, als plötzlich ein Kind vor ihm auftauchte, das sich zum Spielen auf den Rasen gesetzt hatte. „Ich bin im letzten Moment über dieses Kind rüber gesprungen und es ist zum Glück nichts passiert. Aber als ich so auf dem Rasen lag, wurde mir bewusst, in welcher Liga ich gelandet war und dachte ich mir: Dafür tue ich das alles?!“ Ab diesem Zeitpunkt änderte sich seine Einstellung komplett. Er wollte mehr. Er wollte in den Profifußball. Und obwohl der Verein nicht mehr mit ihm plante und seinen auslaufenden Vertrag nicht verlängern wollte, gab er in seinem letzten Jahr richtig Gas und schoss für Brommapojkarna 15 Tore. „Mein Vater hat mich damals dazu ermutigt, dort zu bleiben und zu kämpfen“, verrät Bahoui.

"Christian Gross war wie ein zweiter Vater zu mir"

Im Anschluss an die Saison sprang im Sommer 2013 dadurch der Wechsel zu AIK Solna heraus. Unter dessen Trainer Andreas Alm ging sein Stern in den beiden folgenden Jahren erneut auf und endete sogar in der Nationalmannschaft, für die er acht Spiele absolvierte. Diesmal hatte Bahoui aber gelernt, dass es nur Schritt für Schritt gehen würde. Und so kam die Entscheidung, sich nach festgefahrenen Verhandlungen im vergangenen Sommer beim Schweizer Christian Gross weiterzuentwickeln. „Ich bin hauptsächlich wegen ihm nach Saudi-Arabien gegangen“, erklärt er. Und wurde dabei von Seiten des Trainers, der vorher schon beim VfB Stuttgart, Tottenham Hotspur und BSC Young Boys unter Vertrag stand, nicht enttäuscht. „Er war wie ein zweiter Vater zu mir. Wir haben oft in seinem Haus in Dschidda gesessen und zusammen Champions League geschaut“, bestätigt Bahoui.

Wieder frei im Kopf

Dennoch war der Schritt in das ferne Land eher ein Rückschritt. Doch ohne diesen wäre der Wechsel zum HSV nicht möglich gewesen. „Ich sehe es als eine Art Schicksal an, dass mein Weg so verlaufen ist“, sagt Bahoui. Er ist unheimlich dankbar für alle Chancen, die ihm das Leben bis jetzt bereitgehalten hat. „Ich möchte mich immer weiterentwickeln. Und ich denke, dass ich beim HSV nun eine große Chance dazu habe“. Nach den Anpassungsschwierigkeiten fühlt er sich mittlerweile rundum wohl in Hamburg. In der Vorbereitung verpasste er keine Einheit und ist deshalb körperlich auf einem Top-Niveau. „Das hilft mir auf dem Platz ungemein“, bestätigt Bahoui, der dazu auch die taktischen Defizite aufgeholt hat. „Ich mache viele Sachen jetzt wieder aus dem Bauch heraus, weil ich sie verstehe und mir eingeprägt habe. Dadurch bin wieder frei im Kopf“. Wie sich das im Umgang mit seinen Kollegen auswirkt, sieht man auf dem Platz nicht nur beim Lattenschießen. Bahoui scheint aufzublühen. Und dann ist es fast wieder so, wie früher in Guldish mit seinen Freunden.