
Interview
19.08.25
„Das Drehbuch, das uns die Realität geschrieben hat, war der Wahnsinn“
Im HSV.de-Interview äußert sich Regisseur Tom Häussler ausführlich zu seiner HSV-Doku „ALWAYS HAMBURG“, die am Mittwoch auf der Kinoleinwand ihre Premiere feiert. Der Fernsehpreisträger spricht dabei über ein echtes Herzensprojekt, besondere Herausforderungen sowie seine Herangehensweise bei Planung, Dreh und Schnitt.
Der HSV kommt auf die Leinwand: Am morgigen Mittwoch (20. August) feiert die HSV-Dokumentation „ALWAYS HAMBURG – Hoffnung. Schmerz. Verbundenheit.“ im CinemaxX Hamburg Dammtor ihre Premiere. Die Produktionsfirma OMR Frames und Regisseur Tom Häussler, Gewinner des Deutschen Fernsehpreises 2022, haben die Rothosen mit ihrem Team über rund anderthalb Jahre ganz nah mit der Kamera begleitet. Insgesamt 1.000 Stunden Filmmaterial sind in diesem Zeitraum entstanden, die Häussler – auch bekannt durch die sehenswerten Fußball-Dokumentationen „Unser Team – Die Heim-EM 2024“ und „Unparteiisch – Deutschlands Elite-Schiedsrichter“ – in den vergangenen Wochen und Monaten zu einer sechsteiligen Serie zusammengeschnitten hat. Herausgekommen ist ein beeindruckendes Werk, das die Bundesliga-Rückkehr der Rothosen aus bisher nie gesehenen Blickwinkeln begleitet und ab Freitag (22. August) dann auch in der ZDF-Mediathek zu sehen ist. Wie er bereits vor vielen Jahren von der Umsetzung einer solchen HSV-Doku träumte, warum der HSV mit seiner Strahlkraft der perfekte Club dafür ist und welche Herausforderungen das alles barg, verrät Häussler im Gespräch mit HSV.de.

HSV.de: Tom, am Mittwoch erscheint „ALWAYS HAMBURG" erstmals auf der Kino-Leinwand. Wie aufgeregt bist du als Regisseur vor so einer Premiere?
Tom Häussler: Richtig aufgeregt bin ich ehrlich gesagt nicht. Ich freue mich vielmehr für die Protagonisten der letzten anderthalb Jahre, dass sie die Doku nun endlich sehen können. Ich weiß, dass viele von ihnen es kaum erwarten können. Sie waren in unserer gemeinsamen Zeit unglaublich neugierig und wissbegierig, haben immer wieder nachgefragt, wann es losgeht und sie das Werk ihren Familien zeigen können. Dass sie endlich die Gelegenheit bekommen, das zu erblicken, wobei sie uns so bereitwillig mitgenommen haben – darauf freue ich mich total.
Die Film-Premiere ist der Endpunkt eurer Arbeit, lass uns zum Ausgangspunkt springen: Wann kam erstmals die Idee auf, über den HSV eine Doku zu drehen?
Genau diese Doku wollte ich seit vielen Jahren unbedingt machen. Es gab immer wieder Gespräche zwischen den verantwortlichen Personen beim HSV und mir über ein solches Projekt, doch aus unterschiedlichsten Gründen hat es nie funktioniert. Als es im vergangenen Herbst endlich so weit war, dass die Gespräche einen erfolgreichen Abschluss gefunden haben, war die Freude riesig – weil es eben ein jahrelanger Anlauf war.
Warum musste es unbedingt der HSV sein?
Weil der HSV der spannendste Verein im deutschen Profifußball ist, über den man so eine Doku drehen kann – ein absoluter „No-Brainer“. Der Club hat so eine bewegende Geschichte, gerade auch in den letzten Jahren. Der HSV hat nicht nur eine sehr große Fangemeinde, sondern praktisch jeder Fußballinteressierte in Deutschland hat auch eine Meinung zu diesem Verein: positiv, negativ oder kontrovers. Jeder hat die vergangenen sieben Jahre mit den verpassten Aufstiegen irgendwie miterlebt. Und dennoch: Diese Geschichte ist einfach noch nie aus der internen Perspektive erzählt worden. Der HSV hat sich noch nie dokumentarisch begleiten lassen, während es andere Vereine teilweise schon mehrfach gemacht haben.

Wie hast du die Zusammenarbeit mit den Protagonisten wahrgenommen, als die Tür endlich geöffnet war und du loslegen konntest?
Unglaublich angenehm. Ich habe am eigenen Leib erlebt, wie lange sich der HSV überlegt hat, so etwas zu machen. Als diese Entscheidung gefallen war, hatte ich das Gefühl, dass man es richtig und zu 100 Prozent zulassen will. Man hat mir freie Hand gelassen, die Geschichte so zu erzählen, wie ich sie erlebt habe. Der HSV hat uns, soweit es möglich war, alle Türen geöffnet. Ich bin total begeistert davon, weil ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist. Zudem bin ich felsenfest überzeugt, dass es nur so funktioniert: ganz oder gar nicht.
Wie anspruchsvoll war es in diesem Zusammenhang, dass in euren anderthalb Jahren Vorstände, Trainer und Spieler gewechselt haben?
Das war definitiv herausfordernd und für mich zwischenmenschlich auch nicht ganz einfach. Es mag für manche Leute Business as usual sein, dass im Profifußball die Leute kommen und gehen. Doch für mich ist es etwas Besonderes gewesen, wenn jemand wie Jonas Boldt, mit dem ich vereinbart hatte, diese Doku zu machen, gehen musste. Auch Tim Walter hat uns mit offenen Armen empfangen. Wir hatten vor unseren ersten Dreharbeiten ein langes und tolles Gespräch und dann habe ich ihn selbst nur wenige Wochen erlebt. Logischerweise hast du die Gedanken, ob solche einschneidenden Veränderungen alles über den Haufen werfen und „die Neuen“ womöglich überhaupt keine Lust darauf haben. Doch im gesamten Zeitraum waren alle Protagonisten sehr offen uns gegenüber eingestellt. Ob der Vorstand mit Stefan Kuntz und Eric Huwer oder auch die Trainer Steffen Baumgart und vor allem Merlin Polzin – wir hatten aus meiner Sicht zu allen ein echt gutes und vertrauensvolles Verhältnis. Das war ein absoluter Glücksfall.
Stichwort Vertrauen: Wie schafft man es, dieses Vertrauen aufzubauen, um am Ende diese besonderen Einblicke durchs Schlüsselloch einzufangen?
Ich denke nicht, dass es dafür eine Masterformel gibt. Ich versuche, ehrlich mit den Menschen zu sein und ihnen zu zeigen, dass wir offen über alles reden können. Ich bin nicht hier, um zu nerven, denn je mehr wir eingreifen, desto weniger authentisch ist das Ganze. Insgesamt hat uns die Komponente Zeit dabei sicherlich geholfen, da wir mehr als anderthalb Jahre dabei waren. Das schafft eine gewisse Nähe, weil man sich regelmäßig sieht und austauscht. Ich hatte das Gefühl, dass die Akteure total offen dafür waren und auch Lust darauf hatten, dass wir sie begleiten.

Die Kabine gilt als Heiligtum der Mannschaft. Sportdokus haben in den vergangenen Jahren auch deshalb einen Hype erlebt, weil die Bilder daraus gezeigt werden. Gibt es hierbei für dich Grenzen?
Ja, man darf schlichtweg die Abläufe nicht stören. Simpel ausgedrückt: nicht im Weg stehen. Sobald wir auffallen, zur Belastung werden oder für uns die Dinge geändert werden, ist das falsch. Natürlich sind diese Bilder für die Zuschauer spannend und auch für mich elementar wichtig, aber ich finde, dass man sie in den richtigen Momenten dosiert einsetzen muss. Diese Grenzen setze ich mir: Dabei sein, aber nichts verändern und den Leuten den Raum geben, sich so zu verhalten, wie sie das sonst auch tun würden. Alles andere würde der Zuschauer auch schnell merken.
Jetzt ist der HSV bekanntlich ein besonderer Verein, der in den vergangenen Zweitliga-Jahren viele Höhen und Tiefen erlebt hat. Du warst hautnah dabei, was waren für eure Arbeit die größten Herausforderungen?
Es war eine Herausforderung, in diese Welt einzutauchen und zu merken, wie kurzlebig dieses Geschäft ist. Für meinen Bereich als Doku-Schaffender ist eine gewisse Planbarkeit hilfreich. Und diese kann man sich bei einem solchen Projekt komplett abschminken. Man ist nahezu fremdgesteuert und muss auf das reagieren, was passiert. Eine Niederlage kann alles auf den Kopf stellen. Es hat sich in den anderthalb Jahren so viel verändert. Es gab so viel auf und ab und so viele Kehrtwenden. Das klingt wie ein Problem, ist aber zugleich ein dramaturgisches Geschenk. Was wir in dieser Zeit erleben durften, hätte man sich nicht besser ausdenken können. Das Drehbuch, das uns die Realität geschrieben hat, war der Wahnsinn.
Ihr habt bis zu 1.000 Stunden Rohmaterial eingefangen. Wie schwer war es, das alles in eine Serie zu packen?
Das war sehr schwer. Denn wir haben so viel mehr tolle Inhalte gedreht, als wir in diesen 180 Minuten zeigen können. Zum Glück ist es eine Serie geworden, weil wir dadurch schon einmal mehr Zeit haben, die Geschichte zu erzählen. Ich weiß gar nicht, wie man das Ganze hätte auf 90 Minuten Filmlänge destillieren können. Dann hätten wir sehr viele Sachen weglassen müssen. Und wer weiß - vielleicht ergibt sich noch die Möglichkeit, den Fans Einblicke in zusätzliches Material zu ermöglichen. Wir haben da schon Ideen…
Handwerklich funktioniert es am Ende so, dass man sich einen groben Plan macht und dann Stück für Stück immer mehr eindampft. Szenen, die man irgendwann mal als zwingend notwendig erachtet hat, springen dann auch mal über die Klippe und andere rücken in den Fokus.

Hast du dabei eine persönliche Lieblingsszene, die im finalen Werk zu sehen ist?
(überlegt sehr lange) Ich finde es unglaublich toll, dass wir Mario (Vuskovic, Anm. d. Red.) mit in der Doku haben. Szenen mit ihm berühren mich, wenn ich sie sehe. Ich weiß, wie sehr ihn alle vermissen. Und ich weiß, wie viel ihm selbst der HSV bedeutet. Die Situation ist kompliziert, aber Mario gehört zum HSV und somit auch in diese Doku. Das war mir sehr wichtig.
Gibt es einen weiteren Spieler oder Protagonisten, der dich besonders überrascht hat beim Blick hinter die Kulissen?
Also wirklich überrascht hat mich Davie Selke. Auch ich war zunächst von diesem Transfer verwundert. Aber die handelnden Personen wussten offenbar ganz genau, was sie tun. Was für ein Typ!
Abschließend: Auf was dürfen sich die HSV-Fans darüber hinaus ganz allgemein gesprochen bei dieser Doku freuen?
Ich denke, dass diese Dokumentation nicht nur für den HSV-Fan interessant ist oder für eine Person, die allgemein fußballinteressiert ist, sondern ich bin mir sicher, dass sich auch Leute dafür begeistern können, die gar nicht so viel für Fußball übrig haben. Denn es geht nicht nur um den rollenden Ball. Es geht um mehr. Es geht um Gemeinschaft, Freundschaft, Druck. Es geht ums Gewinnen und ums Verlieren. Am Ende sagt die Geschichte, die wir in den vergangenen anderthalb Jahren begleiten und mit der Doku erzählen durften, ganz viel über das Leben aus.