
Interview
27.11.25
Sonny Kittel: „Das bleibt für immer“
Sonny Kittel erzielte das bislang letzte HSV-Tor gegen den VfB Stuttgart. Im HSV.de-Interview erinnert sich die ehemalige Nummer 10 an diesen Moment und seine intensive HSV-Zeit. Zudem spricht er über seine weiterhin enge Verbindung zum Club sowie über seine aktive Laufbahn, die sich aktuell zwischen Crossfit und Trainerschein bewegt.
„Dompe gegen Mavropanos, Kittel ... könnt´s versucheeeen! Keiner zieht wie Sonny Kittel! Hamburg führt!“ Die Worte von Kommentator Wolff-Christoph Fuss zum bis dato letzten HSV-Tor gegen den VfB Stuttgart sind legendär. Mehr als eine halbe Million Mal ist das Video mit jenem Strahl Kittels und der ebenso unverkennbaren wie berühmten Stimme der Kommentatoren-Größe auf YouTube angeklickt worden. Mit seinem Treffer zum 1:0 im Rückspiel der Bundesliga-Relegation 2023 gegen die Schwaben sorgte Sonny Kittel in der 6. Minute für einen der lautesten Momente der jüngeren Volksparkgeschichte. Zugleich gab der Publikumsliebling den HSV-Fans trotz einer vermeintlich aussichtslosen Ausgangslage (0:3 im Hinspiel) den Glauben an die langersehnte Bundesliga-Rückkehr eindrucksvoll zurück.
Für Kittel war es damals der 76. Scorerpunkt (36 Tore, 40 Assists) in seinem 140. und zugleich letzten Pflichtspiel mit der Raute auf der Brust. Nach der 1:3-Niederlage und vier gemeinsamen Jahren trennten sich die Wege zwischen dem Edeltechniker und dem HSV. Während der gebürtige Gießener Auslandsstationen in Polen (Raków Częstochowa), Australien (Western Sydney Wanderers) und der Schweiz (Grasshopper-Club Zürich) absolvierte, schafften die Rothosen zwei Jahre später, am 10. Mai 2025, den Bundesliga-Aufstieg.
Vor dem bevorstehenden Bundesliga-Spiel zwischen dem HSV und dem VfB Stuttgart nahm sich Kittel Zeit für ein Gespräch, um nicht nur auf einen besonderen Moment im HSV-Trikot zurückzublicken, sondern auch über seine intensive Zeit in Hamburg zu sprechen. Dabei zeigte sich: Der 32-Jährige trägt die Raute noch immer im Herzen.

HSV.de: Sonny, du hast Anfang Juni 2023 in der Bundesliga-Relegation das letzte HSV-Tor gegen den VfB Stuttgart erzielt und damit für einen der lautesten Jubel in der jüngeren Volkspark-Geschichte gesorgt. Wie hast du diesen Moment damals wahrgenommen?
Sonny Kittel: In jedem Fall sehr emotional. Das Ziel war, dass wir so früh wie möglich in Führung gehen. Deswegen war es ein Moment, mit dem man gefühlt allen HSV-Fans und auch uns als Mannschaft etwas die Hoffnung zurückgegeben hat. Ich habe damals daran geglaubt, dass noch irgendwas drin ist. Deshalb war es extrem emotional und auch unfassbar laut.
Wie oft hast du das Video mit dem legendären Kommentar von Wolff-Christoph Fuss im Nachgang noch angesehen?
(lacht) Schon noch einige Male, zumal es dann leider mein letztes Spiel für den HSV war. Deshalb nimmt dieser Moment einen besonderen Platz für mich ein. Es war mein letztes Mal – das letzte Mal im Volksparkstadion, das letzte Mal dieses Trikot tragen. Ich habe mich zu 100 Prozent mit dem Verein identifiziert und ihn immer gelebt. Es hat mir extrem viel bedeutet. Deshalb war ich auch sehr lange traurig darüber, dass es auseinandergegangen ist.
Welche Erinnerungen hast du generell noch an diese Partie?
Wir wollten wie gesagt schnell in Führung gehen und beide Hälften für uns gewinnen. Wir wussten, dass wir durch ein frühes Tor die Fans euphorisieren können und dies auch etwas beim Gegner machen kann. Das war damals auch so und wer weiß, was passiert wäre, wenn wir vor der Halbzeit noch ein zweites Tor nachgelegt hätten. Doch unterm Strich muss man auch so ehrlich sein, dass wir es im Hinspiel vergeigt haben und die Qualität von Stuttgart enorm war. Das hat man dann in der folgenden Saison gesehen, als sie mit einer weitgehend unveränderten Mannschaft Vizemeister geworden sind.

Du hast insgesamt vier Anläufe mit dem HSV in Richtung Bundesliga genommen, bist mehrfach dramatisch gescheitert. Wie blickst du auf deine Zeit beim HSV und in Hamburg zurück?
Ich blicke insgesamt sehr positiv zurück. Ich hatte sportlich und persönlich eine tolle Zeit. Ich habe viele Spiele machen dürfen, konnte viele Tore und Vorlagen erzielen. Ich denke, dass ich vielen Menschen eine Freude gemacht habe und dafür gesorgt habe, dass sie gern ins Stadion gehen und Spaß haben.
Natürlich ist es extrem bitter, dass für mich durch die Nicht-Aufstiege die Mission unerfüllt geblieben ist. Abgesehen von meinen schweren Verletzungen war das Spiel in Sandhausen die schlimmste Niederlage in meiner Karriere. Da war man so nah dran wie nie zuvor. Das hat mich sehr lange beschäftigt. Dennoch war es eine schöne Zeit, in der ich viele Menschen kennengelernt habe, zu denen ich bis heute Kontakt habe – sei es in der Mannschaft, im Staff oder auf der Geschäftsstelle. Das bleibt für immer und ist am Ende das Wichtigste. Ich habe noch viele Menschen beim HSV positiv in Erinnerung und hoffentlich sie mich auch.
In diesem Jahr ist die langersehnte Rückkehr in die Bundesliga dann geglückt. Mit welchen Gefühlen hast du das erlebt?
Ich habe mich auf jeden Fall für einige Menschen im Verein gefreut und natürlich auch extrem für die Fans. Ich habe immer gespürt, wie viel ihnen das alles bedeutet und konnte mich damit voll identifizieren. Ich konnte nicht viele Spiele über die volle Distanz schauen, habe aber immer mal wieder reingeschaut und habe mich letztlich auch brutal für Merlin gefreut. Auch er lebt den Verein zu 100 Prozent. Natürlich habe ich mich auch bei dem Gedanken verloren, wie schön es gewesen wäre, selbst dabei gewesen zu sein, aber es sollte mit meiner Person nicht sein.

Der Aufstieg gelang unter anderem unter der Führung von Cheftrainer Merlin Polzin, mit dem du viele Jahre eng zusammengearbeitet hast. Wie hast du seine Entwicklung verfolgt?
Merlin hat eine ganz hohe Fußballkenntnis. Ich habe mit ihm so viel zu tun gehabt wie nur mit ganz wenigen anderen Coaches aus einem Trainerteam. Wir haben uns extrem viel über Fußball ausgetauscht. Er ist genauso wie ich ein Fußball-Besessener, weshalb wir uns auf dieser Ebene sehr gut verstanden haben. Ich war mir nicht sicher, wie er es dann in der Rolle als Cheftrainer meistert. Aber wie er es geschafft hat, war am Ende sensationell. Wenn du die richtigen Schlüsse ziehst und aufsteigst, gibt es dem nichts mehr hinzuzufügen.
Wie verfolgst du aktuell den HSV? Und inwieweit schlägt die Raute noch im Herzen?
Auf jeden Fall verfolge ich den Club noch und die Raute wird für immer in meinem Herzen schlagen. Ich habe immer gesagt, dass die Eintracht mein Verein ist, aber was sich emotional mit dem HSV aufgebaut hat, das ist besonders für mich. Das hätte ich anfangs nicht gedacht. Dementsprechend schlagen da zwei Vereine in meinem Herzen. Ich verfolge wirklich viel, auch wenn ich es aufgrund der Kinder selten schaffe, mal in Ruhe über die volle Distanz von 90 Minuten ein Spiel zu sehen.
Wie hast du aus HSV-Sicht das erste Drittel der laufenden Bundesliga-Saison erlebt?
Ich denke, dass sich die Mannschaft anfangs erst einmal finden musste, da viele neue Spieler dazugekommen sind. Jetzt geht es darum, dass sich die Mannschaft stetig weiterentwickelt. Dazu sollte man Merlin und dem Trainerteam die nötige Zeit geben, was die Verantwortlichen machen. Bisher ist der eingeschlagene Weg erkennbar und noch sind ein paar Spiele bis zur Winterpause, wo man dann ein erstes Fazit ziehen kann.

Lass uns über deine Situation sprechen: Nach deiner Zeit beim HSV warst du in den vergangenen Jahren in Polen, Australien und der Schweiz aktiv. Welche Erfahrungen konntest du bei diesen Auslandsstationen sammeln?
Wir haben als Familie in dieser Zeit viel erlebt und positive wie negative Erfahrungen gesammelt. Wir haben definitiv Orte kennengelernt, die wir so im normalen Leben nicht als Wohnziele ausgewählt hätten. Das war schon etwas Besonderes. Auch sportlich habe ich meine Erfahrungen gesammelt, wie in anderen Ländern Fußball gespielt und gedacht wird. Da habe ich etwas fürs Leben lernen und mitnehmen können.
Du bist derzeit vereinslos und bist vorzeitig zurück in die hessische Heimat gezogen, wo du nun mit deiner Frau und euren drei Töchtern lebst. Wie schwer fällt es dir aktuell, nicht mehr auf höchstem Niveau Woche für Woche deiner Leidenschaft nachzugehen?
Wer mich kennt, der weiß, wie schwer mir das fällt. Meine gesundheitliche Situation hat mich über viele Jahre stark eingeschränkt. Ich kann die Gesamtsituation dementsprechend realistisch einordnen. Ich halte mich derzeit fit und gebe Gas und wir werden sehen, wie sich die Situation in den nächsten Wochen und Monaten weiterentwickelt. Die Familie gibt mir dabei wie immer enorm viel Kraft.

Wer dir bei Social Media folgt, bekommt beinah täglich das gleiche Bild aus einer Crossfit-Box zugespielt. Inwieweit hast du dort eine zweite Leidenschaft für dich entdeckt?
Mich hat das schon in den letzten Jahren extrem angefixt. Leider konnte ich es nie vollends ausleben, weil ich von der Belastung her aufpassen musste. Ich habe aber immer gesagt, dass ich in diesem Bereich extrem reinhauen werde, wenn sich die Möglichkeit dazu bietet. Und das mache ich aktuell. Ich habe da voll Bock drauf und werde dranbleiben. Mal sehen, wo das hinführt.
Apropos Bock: Du hast kürzlich auch deinen Trainerschein gemacht. Du hast uns gegenüber früher schon erwähnt, dass du Bock auf das Trainer-Dasein hast. Was reizt dich so sehr daran?
Ja genau, ich habe jetzt die B-Lizenz absolviert. Ich will im Nachwuchs meine ersten Schritte machen und der Jugend auf jeden Fall etwas zurückgeben. Ich bin diesbezüglich auch mit der Eintracht im Austausch. Darüber hinaus will ich im kommenden Jahr hier in meiner Heimat eine Fußballakademie eröffnen. Ich habe einfach so viel erlebt und kann der neuen Generation viel mitgeben. Das ist mein Ziel. Ich möchte etwas Nachhaltiges auf die Beine stellen, auch hier für die Region, in der viele sportbegeisterte Menschen leben. Das ist ein kurzfristiges Ziel ganz unabhängig von meiner weiteren Karriere.
Abschließend bitten wir um einen Expertentipp für Sonntag: Wie schlägt sich der HSV gegen den VfB - dieses Mal dann ohne Kittel?
Der VfB besitzt definitiv eine sehr hohe Qualität. Ich drücke dem HSV auf jeden Fall die Daumen und lege mich auf ein 2:1 für den HSV fest.
