
Nachwuchs
02.06.22
"Der Wille des Kollektivs war unser Trumpf"
Als jüngste aller Regionalliga-Mannschaften Deutschlands zog die U21 in die Meisterrunde der Regionalliga Nord ein und beendete die Saison dort Ende Mai auf dem sechsten Tabellenplatz. Cheftrainer Pit Reimers zieht nach der Saison Bilanz.
Pit, vor der Saison hat sich der HSV bewusst dazu entschieden, auf ältere Spieler in der U21 zu verzichten – im Vergleich zu den vorherigen Jahren war das eine neue Herangehensweise. Wie hast du das in einem ersten Schritt aufgenommen?
Es stimmt, die Art und Weise der Kaderplanung war zunächst einmal neu für uns. In den zurückliegenden Jahren hatten zumeist ein bis zwei ältere Spieler im Kader gestanden, an denen sich junge Spieler orientieren konnten. In der vorherigen Saison war beispielsweise Marc Hornschuh mein Ansprechpartner Nummer Eins im Team – das hat sich nun auf mehrere Spieler verteilt. Die Idee dahinter war, junge Spieler sich aus sich selbst heraus entwickeln zu lassen, A-Jugendliche früh in die Verantwortung zu ziehen und sie so die nächsten Schritte gehen zu lassen. Insgesamt haben so in dieser Saison 13 A-Jugendliche für uns auf dem Platz gestanden. Das gab es vorher noch nie. Wenn ich mir die Spielzeit nun rückblickend anschaue, dann kann ich davor, wie die Jungs das umgesetzt haben, nur den Hut ziehen.
Wie habt ihr ausgemacht, welche Spieler eures Kaders schnell in diese Verantwortungsposition rücken können und wer eventuell etwas mehr Zeit benötigt?
Verantwortung zu übertragen ist ganz grundsätzlich eine Aufgabe, die wir im Trainerteam in jeder Saison haben – unabhängig vom Alter geht es immer darum, Spieler zu Mut, zu Initiative und zu Gewissenhaftigkeit zu bewegen. Bei so einer jungen Kaderstruktur ist das nochmal eklatant wichtiger, lässt sich aber im Training gut herausfinden. Wir haben beispielsweise die Mannschaft in den ersten Trainingswochen ganz bewusst in taktische Abläufe involviert oder Aufgaben ins Training eingebaut, bei denen es darum ging, eigenständig Lösungen zu finden. Dadurch konnten wir schnell sehen: Wer übernimmt Verantwortung, wer geht voran? Das zeigt sich auch abseits vom Training: Wer organisiert gewisse Dinge, wer stößt Prozesse an, wer bringt sich ein? Das waren Mechanismen, die relativ schnell eingesetzt haben.

Die Regionalliga ist grundsätzlich eine Liga, in der körperbetonter Fußball gespielt wird, auch in dieser Saison wart ihr das mit Abstand jüngste Team eurer Staffel und sogar die jüngste Regionalliga-Mannschaft im gesamten Bundesgebiet. In den ersten Saisonspielen hat man dann auch durchaus gesehen, dass das zu Schwierigkeiten führen kann.
Das stimmt, der Saisonstart war sicher ein kleines Hindernis, das wir überwinden mussten. Wir haben teilweise gut gespielt, uns die Ergebnisse aber zu oft durch individuelle Fehler, Naivität und Fahrlässigkeit kaputt machen lassen. Wenn etwas Unvorhergesehenes passiert ist – sei es die Gangart des Gegners oder auch der Trash-Talk zwischen Spielern auf dem Platz – haben wir uns davon hin und wieder beeindrucken lassen. Da waren wir als Mannschaft noch nicht stabil genug, um gewisse Widerstände zu überwinden. Rückblickend betrachtet war das sicher unsere größte Challenge im Saisonverlauf: Zu uns zu finden und ein gesamtes Spiel über bei uns und unserem Spiel zu bleiben.
Hast du in dieser Phase zwischendurch mal gedacht, ein älterer Spieler, ein Leader täte der Mannschaft gut?
Nein, daran habe ich nicht gedacht. Hungrig waren unsere Spieler ohnehin die ganze Zeit. Wir haben zudem gesehen, dass wir von Woche zu Woche besser, stabiler und mutiger geworden sind. Diese Zeit muss man jungen Fußballern dann auch geben.

Wie habt ihr diese Challenge letztlich gemeistert?
Ich kann da gar nicht einen Kniff oder eine Lösung herausstellen, weil es letztlich ein Prozess war, den unsere Mannschaft durchlaufen musste und bei dem unser gesamtes Team – Trainerteam, Staff und Spieler – ganz eng zusammenstand. Ein Findungsprozess, bei dem wir im permanenten Austausch waren und festgestellt haben: Wenn der Gegner es schafft, uns aus unserem Fokus zu bringen, dann verlieren wir das Spiel. Bleiben wir aber bei uns, bleiben wir geschlossen, dann ist es umso schwerer, uns zu schlagen. An diesen Moment ist meine Mannschaft irgendwann gekommen. Wenn nun einer meiner Spieler einmal den Fokus verliert, sind zehn andere für ihn da. Pushen ihn, holen ihn zurück ins Spiel. Dieser Wille aus dem Kollektiv heraus war sicher einer unserer Trümpfe.
Gab es einen Moment, an dem du genau das auch für dich realisiert hast? Dass das Team diesen Schritt hin zu gemeinsamer Verantwortung gegangen ist?
Ein Wendepunkt war für mich das Hinspiel bei Phönix Lübeck. Wir haben keine gute erste Hälfte gespielt, sind zweimal in Rückstand geraten, beide Male zurückgekommen und haben letztlich kurz vor Schluss den 3:2-Siegtreffer erzielt. Kurz danach haben wir zudem bei Weiche Flensburg mit 1:0 gewonnen. Spätestens da haben die Jungs gespürt, dass sie jeden schlagen können, wenn sie zusammenstehen. In den darauffolgenden Spielen haben wir immer mehr Selbstvertrauen entwickelt und konnten uns eine Dynamik, einen Flow erspielen, der letztlich zu einem Endspiel um die Meisterrunde gegen Phönix Lübeck geführt haben. Dieses Spiel konnten wir mit 2:1 für uns entscheiden und hatten die Meisterrunde somit erreicht. Das ist für meine Mannschaft eine großartige Leistung.
Diese Meisterrunde habt ihr schließlich als Tabellensechster beendet. Wie fällt dein Fazit für diesen zweiten Teil der Saison aus?
Den Schwung, den wir uns zu Saisonbeginn erarbeitet haben, konnten wir mit in diese Aufstiegsrunde nehmen und vor allem in den Partien gegen Oldenburg und Werder Bremen auf richtig hohem Niveau agieren. Unser Anspruch ist und war immer, dass wir uns mit den Besten messen wollen. Wir haben bewiesen, dass wir in vielen Phasen auf Augenhöhe spielen können. Aber: Wir haben beispielsweise gegen Oldenburg auch gesehen, dass wir in den entscheidenden Momenten noch abgezockter und zielstrebiger sein müssen, dass Fehler auf diesem Niveau eiskalt bestraft werden und wir bis zum Abschluss konzentriert bleiben müssen. Das nehmen wir als Aufgabe für die kommende Saison mit. Grundsätzlich ist neben den sportlichen Ergebnissen für uns zudem wichtig zu sehen, dass junge Spieler aus der U21 den Sprung in die Profimannschaft schaffen. So, wie es in dieser Saison bei Faride Alidou der Fall war, der sich durch gute Leistungen in unserem Team für den Bundesligakader empfohlen hat. Viele unserer Spieler durften zudem an Trainingseinheiten der Profis teilnehmen. Diesen Weg wollen wir auch in der kommenden Spielzeit weitergehen.