
Nachwuchs
14.09.22
"Jeder soll positive Erinnerungen an die Zeit bei uns haben"
Oliver Kirch kann auf eine bewegte Profi-Karriere zurückblicken: 2012 stand der ehemalige Mittelfeldspieler mit Borussia Dortmund im Champions-League-Finale, Kirch spielte unter Trainergrößen wie Jürgen Klopp, Jupp Heynckes oder Dick Advocaat. Seit 2018 ist der heute 40-Jährige selbst als Trainer unterwegs - seit der Saison 2021/22 in der U19 des HSV. Im Interview mit HSV.de spricht der gebürtige Westfale über seine Philosophie, die Zusammenarbeit mit Tim Walter und den schweren Weg zum Profi.
Oliver, du bist seit der letzten Saison Trainer der U19 des Hamburger SV. Wie sind deine Eindrücke vom Klub und wie bewertest du die Arbeits- und Trainingsbedingungen am Campus?
Wir können hier unter sehr guten Bedingungen arbeiten. Egal ob man sich die Plätze am Volkspark oder die Räumlichkeiten im Campus mit den Möglichkeiten zum Krafttraining oder zur Videoanalyse ansieht. Das bietet uns als Trainerteam viele gute Optionen, um das Team optimal zu entwickeln. Allgemein ist es sehr förderlich, dass wir einen Ort haben, an dem wir alle vereint sind, gemeinsam arbeiten und uns regelmäßig untereinander austauschen können. Das trägt dazu bei, dass wir innerhalb des gesamten Nachwuchs‘ ein sehr gutes Arbeitsklima haben. Dass ich bei einem Klub wie dem HSV arbeiten kann, ist ein Privileg für mich.
Das Volksparkstadion vor Augen zu haben, dürfte die Nachwuchsakteure noch zusätzlich motivieren, hart an ihren Zielen zu arbeiten.
Ja, absolut. Man sollte das nicht überstrapazieren, aber die Jungs sehen jeden Tag, wo es hingehen könnte. Zudem teilen wir uns die Trainingsplätze mit dem Zweitliga-Team. Die Nachwuchsspieler begegnen den Profis immer wieder und sehen, dass die Wege kurz sein können. In den vergangenen Jahren gab es ja einige Spieler, die den Weg aus dem Campus bis in das Profiteam geschafft haben. Das dient den Jungs als Vorbild und als zusätzliche Motivation.
Vor deiner Zeit beim HSV warst du als Trainer im Nachwuchs von Arminia Bielefeld aktiv. Welche Komponenten sind dir in der täglichen Arbeit mit den Jungs wichtig, wie willst du die Spieler ausbilden?
Das übergeordnete Ziel ist es, die Spieler bestmöglich für den Profibereich auszubilden und ihnen den Weg dorthin zu ebnen. Es ist aber nicht unser einziges Ziel. Es gibt auch Spieler, die auf nicht so viele Einsatzminuten kommen oder von Verletzungen gebeutelt sind und sich deshalb am Ende ihrer Juniorenzeit für einen anderen Weg entscheiden. Manche spielen auf einem etwas niedrigeren Niveau weiter, andere beginnen ein Studium oder eine Ausbildung. Jeder soll bei uns aber mit dem Gefühl rausgehen, etwas für sein weiteres Leben mitgenommen zu haben. Auf der einen Seite natürlich fußballerisch, auf der anderen Seite vor allem aber auch menschlich. Das ist uns sehr wichtig. Die Jungs sollen mit guten Erinnerungen auf die Zeit bei uns zurückblicken, sich an einen guten Zusammenhalt, schöne Siege und unvergessliche Erlebnisse zurückerinnern. Natürlich wollen wir durch unsere Arbeit aber dafür sorgen, dass der ein oder andere Spieler den Weg hinüber ins Volksparkstadion schafft.
Verfolgst du mit deinen Teams eine bestimmte Spielphilosophie oder passt du das System und die Ausrichtung den Stärken deiner Spieler an?
Es ist ein Mix aus beidem. Auf der einen Seite guckst du, welche Spielweise im Profiteam bevorzugt wird. Das lässt sich aber nicht immer komplett übertragen. Dennoch gibt es in unserem Fall viele Schnittmengen. Tim Walter setzt bei den Profis auf einen ballbesitzorientierten Fußball, auch wir möchten den Ball haben und dominant auftreten. Dabei hilft es, dass wir unter den Trainern im ständigen Austausch sind und die Möglichkeit haben, immer mal wieder mit dem Trainerteam der Profis über verschiedene Ansätze zu sprechen. Auf der anderen Seite lässt sich die Spielweise aber immer nur bis zu einem bestimmten Grad adaptieren. Du musst schon beachten, welche Spieler du zur Verfügung hast und wie du deren Fähigkeiten bestmöglich zum Einsatz bringen kannst. Grundsätzlich wollen wir die Jungs fußballerisch, aber auch körperlich voranbringen und fit für den Herrenbereich machen
Mit 40 Jahren bist du ein noch relativ junger Trainer. Gibt es andere Trainer, mit denen du im Austausch stehst und von denen du dir Ideen für dein eigenes Coaching holst?
Ich habe während meiner Zeit als Profi verschiedene Trainertypen erlebt, da guckst du dir ganz automatisch von jedem etwas ab und nimmst für deine eigene Laufbahn Dinge mit. Hier gibt es den ein oder anderen mit dem ich in unregelmäßigen Abständen in Kontakt stehe und meine Erfahrungen teile. Aktuell ruht der Ball in der A-Junioren-Bundesliga für drei Wochen. Diese Pause nutze ich und hospitiere bei den Profis, um die Abläufe noch besser kennenzulernen und mich noch intensiver mit Tim Walter auszutauschen. Mit Nuri Sahin habe ich einen sehr guten Freund und ehemaligen Mitspieler von Borussia Dortmund, der in der Türkei einen Erstligisten (Antalyaspor, Anm. d. Red.) trainiert. Wir sprechen häufig miteinander, geben uns gegenseitig Tipps. Das hilft enorm weiter und bringt mich nach vorne.

Du warst unter anderem für Borussia Dortmund, den 1. FC Kaiserslautern oder Borussia Mönchengladbach selbst als Fußballprofi unterwegs, kennst das Geschäft gut. Welche Erfahrungen konntest du aus dieser Zeit mitnehmen, die du den Spielern mit auf den Weg gibst, die selbst auf dem Sprung in den Profibereich stehen?
Da gibt es ganz viele. Mein Weg in den Profifußball war ja nicht vorgezeichnet und lange Zeit in dieser Form auch nicht abzusehen. Bei den großen Klubs in Deutschland lief ich während meiner Jungendzeit unter dem Radar, würde mich deshalb als Quereinsteiger bezeichnen. Auch als ich dann mit 21 Jahren meinen ersten Profivertrag in Gladbach unterzeichnet hatte, gab es viele Auf und Abs. Beeinflusst durch Verletzungen, Trainer- oder Vereinswechsel musste ich mich immer wieder herankämpfen. Ich habe viel gesehen, stand mit Dortmund im Champions-League-Finale, habe aber auch Zeiten erlebt, in denen es keine Verwendung mehr für mich gab. Ich weiß, wie viele verschiedene Komponenten auf die Jungs im Profibereich einprasseln, in welchen Gefühlswelten man sich bewegen kann. Deswegen versuche ich den jungen Talenten mit meinen Erfahrungen zu helfen, ohne aber ständig von früher zu erzählen. Punktuell lasse ich das jedoch einfließen, weil ich die Jungs in vielen Situationen gut verstehen kann.
Als A-Jugend-Trainer fungierst du in einer Schnittstellen-Position zwischen dem Nachwuchs- und Herrenbereich. Wie bereits erwähnt, schaffen am Ende nicht alle Spieler direkt den Sprung in den Profibereich. Hältst du mit ehemaligen Spielern weiterhin Kontakt?
Definitiv. Ich habe immer ein offenes Ohr für meine Spieler – auch für die Jungs, die ich in den vergangenen Jahren betreut habe. Ich stehe mit einigen Akteuren aus meiner Zeit in Bielefeld weiterhin in Kontakt, stehe ihnen als Ansprechpartner zur Seite.
In welchen Angelegenheiten hilfst du den Spielern?
Bei dem ein oder anderen funktioniert es bei seiner ersten Station im Herrenbereich vielleicht nicht direkt optimal, dann versuchst du den Jungs Mut zuzusprechen, sie in ihrem Weg zu bestärken. Zudem versuche ich die Spieler durch mein Netzwerk bei anderen Klubs ins Notizbuch zu bringen. Schicke den Verantwortlichen dort beispielsweise alte Videosequenzen zu und informiere über die Fähigkeiten des Spielers. Wenn die Jungs es möchten, bin ich ein Leben lang als Ansprechpartner für sie da und helfe, wo ich kann.
Mit Luis Seifert, Nicolas Kisilowski oder Tom Sanne wurden zuletzt einige U19-Spieler in der U21 eingesetzt. Wie funktioniert die Abstimmung und wer bzw. wie wird festgelegt welche Spieler für den älteren Jahrgang auflaufen?
Pit Reimers (Trainer der U21, Anm. d. Red.) und ich befinden uns in einem ständigen Austausch, sprechen jeden Tag miteinander. Die Entscheidung, welchen Spieler wir wo einsetzen, läuft ganz natürlich ab. Wenn ein Spieler, wie bei Luis Seifert im speziellen Fall, schon in jüngeren Jahren bereit für den älteren Jahrgang ist, dann soll er auf diesem Niveau seine Erfahrungen sammeln. Wir achten sehr darauf, dass kein Spieler eine Partie der U17 oder U19 verpasst, um dann in der U21 nur auf der Bank zu sitzen. Wir wollen jedem Spieler den besten Rahmen ermöglichen, sich weiterzuentwickeln und so viel Spielpraxis wie nur möglich zu erhalten. Das ist in diesem Alter sehr, sehr wichtig und unser oberstes Gebot.
Zum Abschluss ein Blick auf die aktuelle Saison: Welche Ziele verfolgst Du mit der U19 in der diesjährigen A-Junioren-Bundesliga?
Wir haben schon den Anspruch oben mitzuspielen. Allerdings ist uns auch bewusst, dass die Leistungsdichte in der Liga sehr hoch ist. Jeder kann jeden schlagen. Wir wollen als Team weiter zusammenwachsen und gemeinsam Spaß und Erfolg haben.