
Saison
30.11.23
Augenblicke und Blickwinkel: Benes & Co. über das Stadtderby
Der HSV-Mittelfeldspieler und einige seiner Mannschaftskameraden blicken auf den Freitagabend, das Stadtderby und die besondere Bedeutung dieses Spiels.
Am vergangenen Wochenende hatte Laszlo Benes allen Grund zur Freude. Und zum Feiern. Denn erst gewann er am Freitag mit seiner Mannschaft das siebte Heimspiel in Folge, und am Sonnabend wurde seine Tochter ein Jahr alt und Papa Benes erlebte seinen ersten Kindergeburtstag. Vorher aber hatte er noch etwas anderes vor. Denn genau wie seine Teamkollegen machte sich auch Benes am Sonnabend auf den Weg zu den Fanclub-Besuchen, um den Fans einen Besuch abzustatten. „Eine tolle Sache“, fasste er zusammen, „es hat uns allen viel Spaß gemacht und wir hatten viel zu bereden.“ Ein Thema aber ploppte den Tag über immer und immer wieder auf, und zwar deutlich öfter als der 2:1-Heimsieg am Vortag gegen Eintracht Braunschweig: das Stadtderby.
Freitagabend, Flutlicht, der HSV zu Gast am Millerntor, und nebenan blitzt und blinkt der Hamburger Winterdom. Oder anders gesagt: „Alle Hamburger fiebern auf dieses Derby hin“, wie es Hamburgs torgefährlichster Mittelfeldspieler umschreibt, „überall in der Stadt merkt man die besondere Bedeutung dieses Spiels.“ Das empfindet auch Daniel Heuer Fernandes so. „Immer wieder wird man derzeit darauf angesprochen“, sagt der HSV-Keeper, der damit bestätigt sieht, was er von Anfang an wusste: „Dieses Spiel steht sehr, sehr weit oben auf der Agenda der Fans, das spürt man vom ersten Tag an, wenn man beim HSV unterschreibt.“

Die zwei Hamburger Profi-Clubs im direkten Vergleich – das allein bietet schon Brisanz genug. Dass es im aktuellen Fall aber eben nicht nur ein sehr spezielles Stadtderby und echtes Traditionsduell ist, sondern gleichzeitig auch noch das Duell Erster gegen Zweiter, setzt dem Ganzen die Krone auf. „Beide haben den Ansatz, Fußball spielen zu wollen, und es ist schön, dass der Ansatz des Ballbesitz-Fußballs auch belohnt wird und beide Mannschaften in der Tabelle oben stehen“, findet auch HSV-Coach Tim Walter großen Gefallen an diesem Duell, das „kein ganz normales“ ist, denn „ein Derby ist immer ein außergewöhnliches Spiel.“ Vor allem dann, wenn es auch noch ein Spitzenspiel ist.
Der FC St. Pauli geht als Tabellenführer in diese Partie. „Sie machen es sehr gut, das muss man anerkennen“, sagt HSV-Mittelfeldmotor Jonas Meffert, „und sie sind sehr stabil“. Was er mit diesem Zusatz meint: Der Club hat im gesamten Kalenderjahr 2023 lediglich zwei Spiele verloren. Das letzte Mal am 21. April dieses Jahres – im Stadtderby gegen den HSV. Natürlich in genau diesem Spiel, natürlich gegen diesen Gegner, möchte man fast noch hinzufügen. Der Fußball und die Geschichten, die nur er schreibt, und so. Und dieses 4:3 für den HSV war definitiv reich an diesen besonderen Geschichten. Ein Spiel wie im Bilderbuch.
"Besondere Spiele schreiben ihre eigenen Geschichten" Laszlo Benes
„Da hat man schon gemerkt, dass es mehr war als ein normaler Sieg“, erinnert sich Meffert. Und auch Benes weiß noch ganz genau, wie sich dieser Abend im Volksparkstadion angefühlt hat: „Das waren Momente, die ich niemals vergessen werde!“ Dieses Mal aber geht es nicht im Volksparkstadion rund, sondern am Millerntor. Der Ansatz jedoch bleibt der gleiche: „Wir wollen im Derby den Platz als Sieger verlassen, das ist unser Ziel und unser Auftrag“, sagt „Ferro“, der gleichzeitig weiß, dass es ein überaus schwieriges und spannendes Unterfangen werden wird. „Beide Mannschaften spielen guten und erfolgreichen Fußball“, lobt er, und ist daher der gleichen Meinung wie Tim Walter, der in der Pressekonferenz sagte: „Einen Favoriten gibt es in diesem Spiel nicht.“

Was es aber in jedem Fall geben wird, ist eine außergewöhnliche Fußball-Atmosphäre, eine Stimmung nah am Siedepunkt. Heißes Herz, kühler Kopf – so soll daher die Erfolgsformel lauten. Oder wie Heuer Fernandes sagt: „Wir müssen die vielen Emotionen und die hitzige Stimmung im Stadion aufsaugen, sie in Freude und Spaß umwandeln und dann auf dem Platz einen klaren Kopf bewahren.“ Ein Balanceakt, keine Frage, ein schmaler Grat. So wie es eben so ist mit diesen besonderen Duellen, den Do-or-die-Spielen, wie man heute sagt. „Ein Stadtderby ist wie ein Pokalspiel“, umschreibt es HSV-Torjäger Robert Glatzel, denn: „Ein Stadtderby hat genau wie der Pokal seine ganz eigenen Gesetze.“
Sein Trainer stimmt diesem Vergleich seines torgefährlichsten Spielers und Top-Scorers grundsätzlich zu, benennt jedoch diesen einen kleinen, aber feinen Unterschied. „Im Pokal gibt es kein Unentschieden, im Stadtderby wäre es hingegen schon möglich.“ Aber wäre es auch zufriedenstellend? Sicher, die Beantwortung dieser Frage hängt auch immer vom Spielverlauf ab, aber eines ist grundsätzlich klar: „Wir haben richtig Bock auf dieses Spiel“, so Glatzel, und das ist gleichbedeutend mit Bock aufs Gewinnen. Und da – in diesem Punkt sind sich alle Protagonisten einig – spielt es gar keine Rolle, welche Mannschaft mit großem oder kleinem Rückenwind und mit welcher Serie ins Spiel geht.
Der HSV seit fünf Auswärtsspielen ohne Dreier, der FC St. Pauli seit 22 Spielen ungeschlagen – „völlig irrelevant“, sagt Glatzel. Und auch Tim Walter ist überzeugt, dass in diesem Spiel, in diesen 90 plus x Minuten nichts von alledem zählt, sondern nur das, was ab Freitagabend um 18.30 Uhr auf dem Platz passiert: „Es geht ausschließlich um diesen Moment und nicht um das, was in den letzten Wochen war.“ Denn, so die These von Laszlo Benes: „Diese besonderen Spiele schreiben immer ihre eigenen Geschichten.“ Und im Idealfall soll es eine erfolgreiche werden, beispielsweise die des ersten HSV-Dreiers am Millerntor seit März 2019. Dann hätten Benes und alle HSVer auch an diesem Wochenende wieder allen Grund zur Freude.