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02.06.21
Wettstein: „Das lässt sich nicht ins Unendliche fortsetzen“
Vorstand Frank Wettstein gewährt Einblicke in die finanzielle Lage des HSV und den Umgang mit den massiven Corona-Folgen.
Die sportliche Aufbereitung der vergangenen Saison ist abgeschlossen, die Vorbereitungen zur neuen Spielzeit laufen. Wie sieht eigentlich die finanzielle Aufbereitung aus? Was bedeuten Abschlussrang vier in der Tabelle und die Pandemie-bedingten Mindereinnahmen für die HSV-Kasse?
Frank Wettstein: Die finanzielle Analyse einer Spielzeit beginnt in der Regel weit vor der sportlichen, bereits jetzt schauen wir auch auf die Saison 2022/23. Am Ende einer Saison entscheidet sich lediglich noch, welches Szenario, Bundesliga oder zweite Bundesliga, im folgenden Jahr Anwendung findet. Das jetzt ablaufende Jahr war aufgrund der Pandemie in der wirtschaftlichen Betrachtung an Herausforderung und Anspruch nicht zu überbieten. Mittlerweile beträgt der durch Corona bereits realisierte oder noch zu erwartende Umsatzeinbruch für den HSV mehr als 60 Millionen Euro. Das ist weit mehr als im Abstiegsfall.
Wie lässt sich ein solcher Umsatzrückgang kompensieren? Der Verkauf des Stadiongrundstücks an die Stadt Hamburg deckt davon ja nur rund ein Drittel ab.
Zumal der Kaufpreis bis heute noch nicht fällig und beim HSV eingegangen ist. Gerade deshalb spreche ich von der besonderen Herausforderung. Bisher gelang uns der Ausgleich zu jeweils einem Drittel aus Finanzierungsmaßnahmen, aus Kostenreduktionen und zu Lasten unserer angesparten Reserven. Das lässt sich aber nicht ins Unendliche fortsetzen.
Die DFL hat in dieser Woche Finanzkennzahlen der Saison 2019/20 aller 36 Proficlubs der 1. Fußball-Bundesliga und der 2. Liga veröffentlicht. Wie betrachten Sie die Gesamtlage des HSV angesichts der Zahlen im Zweitligavergleich?
Uns hilft der Vergleich mit anderen Clubs nicht, wir müssen allein auf uns schauen. Die Zahlen zeigen, dass die meisten Clubs von der Pandemie hart getroffen sind. Aber dies liegt in der Natur des Wettbewerbs und bedarf einer solchen Veröffentlichung nicht. Zudem sind die wesentlichen Auswirkungen der abgelaufenen Saison noch nicht einmal abgebildet.
Sie haben schon vor knapp einem Jahr die langwierigen Folgen der Pandemie für den Profifußball angesprochen. Wie betrachten Sie die Situation heute?
Zu Beginn der Pandemie habe ich die These aufgestellt, dass die Folgen über fünf Jahre nachwirken können. Diese Einschätzung hat sich nicht geändert, vielleicht war sie sogar zu optimistisch. Aber man darf nicht verkennen, dass die Pandemie noch nicht beendet ist. Auch in der kommenden Saison werden alle Clubs mit Einschränkungen leben müssen.
Zuletzt fand die Hauptversammlung der HSV Fußball AG statt. Sind die Gesellschafter besorgt?
Wir sind alle besorgt, ob Gesellschafter, Vorstand oder Aufsichtsrat. Aber auch die Mitarbeiter, Vereinsmitglieder und Fans fragen sich, ob und wann der frühere Zustand wiederhergestellt wird bzw. überhaupt wieder komplett hergestellt werden kann. Die Rückkehr zur Normalität ist ein langer und steiniger Weg mit großen Herausforderungen, die wir aber gemeinschaftlich annehmen und bewältigen.
Leidet ein zuschauerstarker Club wie der HSV eigentlich noch extremer unter den Corona-bedingten Einschränkungen als ein Verein mit weniger Publikum und entsprechenden Einnahmen?
In erster Linie fehlt die Unterstützung in den Stadien, die Fans. Genau das ist es, was die Faszination Fußball ausmacht. Generell darf man nicht vergessen, dass der HSV auch bei vielen Auswärtsspielen von einer großen Anhängerschaft begleitet und unterstützt wird. Aber natürlich trifft uns der Einnahmenausfall bezüglich der Heimspiele härter und auch die laufenden Kosten eines großen Stadions wie dem Volksparkstadion sind höher.
Wie lange ist der HSV in der 2. Liga noch überlebens- und wettbewerbsfähig?
Eine solche Prognose erübrigt sich. Andere Clubs wie der VfL Bochum haben deutlich länger in der zweiten Bundesliga gespielt und dennoch den Aufstieg für sich entschieden. Auch wir wollen immer sportlich erfolgreich sein, ohne die Existenz des HSV zu gefährden.
Bei vielen Clubs ist die finanzielle Lage derzeit angespannt bis heikel. In diesem Zusammenhang kommen auch immer wieder Anleihen oder/und Anteilsverkäufe ins Gespräch. Könnten diese Themen auch wieder auf den HSV zukommen?
Die Frage nach der richtigen Finanzierungsform stellt sich regelmäßig. Gut ist dabei, wenn der Club seine eigene Form der Finanzierung aus möglichen Alternativen auswählen kann und nicht kurzfristig oder unter Zwang auf Kapital zu nachteiligen Konditionen angewiesen ist. Nach der Entscheidung des Bundeskartellamts zur 50+1-Regel und dessen Begründung dürfte aber auch die Frage nach der geeigneten Rechtsform neue Nahrung erhalten, wenn selbst die Behörde in einer Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) einen regelungskonformem Wettbewerbsvorteil erkennt.