
Interview
20.02.20
Dörfel: "Das Stadtderby hat seine eigenen Gesetze"
Gert "Charly" Dörfel hat im HSV-Trikot viele Stadtderbys gespielt und gewonnen. Die Vereinslegende spricht im Interview mit HSV.de über die Bedeutung des Hamburger Duells, die sportliche Situation der Rivalen und seine Empfehlung für die HSV-Profis.
Seine Augen funkeln, ein Lächeln huscht über sein Gesicht: Wenn man mit Charly Dörfel über das Hamburger Stadtderby spricht, dann ist die HSV-Legende in ihrem Element. Kein Wunder, schließlich ist die Stadtderby-Bilanz des ehemaligen Weltklasse-Linksaußen beinahe makellos (acht Pflichtspiele, sechs Siege, ein Remis, eine Niederlage). Der 80-Jährige weiß genau, welche Tugenden an den Tag gelegt werden müssen, um in den prestigeträchtigen Duellen mit dem braun-weißen Stadtrivalen die Oberhand zu behalten. Denn auch wenn sich der Fußball in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich verändert hat, bleibt die Machart des Derbys immer gleich: „Das Stadtderby elektrisiert. Das gilt für die Spieler, die Medien und die Zuschauer. Das war damals schon so und hat sich bis heute nicht verändert“, sagt Dörfel und blickt mit einem Grinsen in die Ferne, als wenn er sich seine gelungenen Stadtderby-Auftritte just in diesem Moment noch einmal vor Augen führt. Er, der damals in drei Stadtderbys im Volksparkstadion (drei Siege) vier Tore schoss und entscheidend dabei mithalf, die Vormachtstellung in der Hansestadt zu untermauern. Für HSV.de blickt Gert „Charly“ Dörfel auf seine Stadtderby-Auftritte zurück, ordnet die aktuelle sportliche Situation ein und gibt den HSV-Profis eine Marschroute für das Heimspiel an die Hand.
Charly, am Sonnabend steigt das Stadtderby zwischen dem HSV und dem FC St. Pauli. Bist du bei der 103. Auflage live im Volksparkstadion dabei?
Leider nicht. Ein Stadionbesuch kostet mich immer viel Kraft, daher ziehe ich es vor, die Spiele des HSV aus dem „Puschenkino“ zu verfolgen. So werde ich es auch am Sonnabend machen. Hier zu Hause kann ich mit meiner Frau schauen und werde gut umsorgt. (lacht)
Du verfolgst das Spiel also vor dem Fernseher, früher warst du selbst noch mittendrin. Was bedeutet das Stadtderby für dich?
Das ist ein ganz besonderes Spiel, das immer elektrisiert, vor allem im Volksparkstadion. In unserem Revier hatte St. Pauli früher keine Chance. Die Größe des Stadions hat die Braun-Weißen schon damals immer beeindruckt, das mochten die nicht. Das wussten wir auch, darum konnten wir mit breiter Brust ins Spiel gehen.
In der HSV-Heimspielstätte ist deine Bilanz mit drei Siegen in drei Spielen makellos. Vor allem das 6:1 im November 1960 war sicher denkwürdig.
So sieht es aus. Wir haben damals vor den Spielen auch privat mal mit dem einen oder anderen Braun-Weißen gesprochen und die wussten schon, dass im Volksparkstadion für die nichts zu holen ist. Die hatten Respekt. An diesem Tag ist uns als Team und mir persönlich fast alles gelungen. Ein großer Tag. Abgesehen von diesem Spiel waren es aber meistens enge Partien, da St. Pauli im Stadtderby stets auf Betriebstemperatur war.
So auch im Februar 1960, als ihr eine 1:4-Niederlage am Millerntor erlitten habt.
Das war wirklich unangenehm. Da haben wir einen ganz schlechten Tag erwischt. Auch ich habe nicht gut ausgesehen. Wir wussten, dass du ein Stadtderby nicht auf diese Weise verlieren darfst.
Ähnlich werden sich die HSV-Profis nach der 0:2-Hinspielniederlage in der laufenden Zweitliga-Saison gefühlt haben. Wie kann am Sonnabend die Revanche gelingen?
Die Niederlage in der Hinrunde hat den Jungs sicher wehgetan, aber das Stadtderby hat seine eigenen Gesetze, da kann es auch mal einen auf den Hut geben. Es wird wichtig sein, dass der HSV am Sonnabend defensiv stabil steht, dann ist die Revanche möglich. Wir brauchen zudem offensiv einen guten Plan, dann können wir St. Pauli richtig wehtun.
Für den Matchplan ist in aller erster Linie Dieter Hecking verantwortlich. Ist der erfahrene Fußball-Lehrer genau der richtige Mann für das Stadtderby?
Auf Dieter Hecking halte ich große Stücke. Ich habe auch schon häufiger gesagt, dass man mit ihm wichtige Siege feiern kann, dazu zählt natürlich auch das Stadtderby. Er hat auch schon bei anderen Vereinen gezeigt, was er leisten kann. Mit seiner großen Erfahrung ist er der beste Mann für dieses Spiel und für die Zukunft.
Mit Dieter Hecking spielt der HSV bisher eine gute Saison, steht mit 41 Punkten auf Rang 2. St. Pauli hingegen hat 18 Zähler weniger auf dem Konto und rangiert auf Platz 14. Geht der HSV dementsprechend als klarer Favorit ins Spiel?
Es war schon damals so, dass wir immer als Favorit ins Spiel gegangen sind. So ist es auch heute. Deswegen ist es umso wichtiger, dass man seine beste Leistung abruft. Wenn der HSV das schafft, dann wird er auch als Sieger vom Platz gehen. Es wird eine volle Hütte geben, die Zuschauer fiebern diesem Spiel entgegen.
Stichwort Zuschauer. Was wünschst du dir von den Anhängern beider Fanlager?
Ich hoffe, dass alles fair über die Bühne geht. Leider gibt es teilweise gewisse Unruheherde, die durch Leute entstehen, die keine Vernunft an den Tag legen. Ich habe aber viel Vertrauen in die Polizei und die Ordner. Den Zuschauern rate ich, dass sie besonnen zu Werke gehen. Es kann schnell eskalieren, aber das braucht kein Mensch. Lasst das Feuer aus dem Spiel. (lacht)
Das Feuer sollen die HSV-Profis auf dem Rasen abbrennen. Was würdest du den Spielern mit der Raute auf der Brust raten?
Die Jungs sollen sich auf das Spiel konzentrieren, die tolle Atmosphäre aufsaugen und 90 Minuten zusammen marschieren. Der HSV muss seine spielerische Überlegenheit einbringen. Das habe ich früher auch so gemacht, da war ich stets einen Schritt schneller als die Braun-Weißen. (lacht) Aber St. Pauli ist immer eine Gefahr, deswegen müssen wir immer hellwach sein. Die Kiezkicker werden eng dran sein, daher müssen wir mit und ohne Ball viele Wege machen und die harten Zweikämpfe annehmen. Der HSV ist auf dem Vormarsch, hat gegen Hannover 96 tolle Moral gezeigt und ist insgesamt gut in Form. Das macht mich sehr optimistisch. Nach der Hinspielniederlage ist es wichtig, dass wir ein Zeichen setzen, das erwarte ich auch. Ich werde den HSV anfeuern.