
Nachbericht
12.02.23
Mit Mentalität und Tiefe zum historischen Comeback
Im Topspiel des 20. Zweitliga-Spieltags beim 1. FC Heidenheim machte der HSV zum dritten Mal seit Bundesliga-Gründung aus einem 0:3 noch ein 3:3. Entscheidend war dabei die Halbzeit, in der die Rothosen den Schalter mental umkippten und personell nachlegten.
In der Regel bleiben die Inhalte einer Halbzeitansprache im Heiligsten einer Fußballmannschaft, der Kabine, verborgen. Doch Ausnahmen bestätigten bekanntlich die Regel und so gewährten die HSV-Profis im Anschluss an das gestrige 3:3-Remis in Heidenheim einen Blick durchs Schlüsselloch. Schließlich brauchte es eine Erklärung für einen schwer erklärbaren Spielverlauf im Topspiel beim 1. FC Heidenheim, in dem die Rothosen zur Pause mit 0:3 scheinbar aussichtslos zurücklagen und letztlich noch 3:3 spielten. Was war also passiert in diesen 15 Minuten? „Der Tenor in der Halbzeit war klar: Abhaken, wir können jetzt nichts mehr dran ändern. Wenn es eine Mannschaft schafft, zurückzukommen, dann sind wir das!“, erklärte Daniel Heuer Fernandes.

Ganz viel Mut ...
Im Mittelpunkt des 15-minütigen Geschehens: Das Trainerteam um Headcoach Tim Walter, das trotz einer „bodenlosen ersten Hälfte“ (Robert Glatzel) an die mutige DNA ihrer Mannschaft appellierte und zum Seitenwechsel mit zwei Wechseln und einer Systemumstellung diesen Mut selbst vorlebte und „all in“ ging. „Unserem Trainer ist es total egal, ob wir dann mit 0:5 oder 0:6 unter die Räder kommen – er will einfach irgendwie ein Tor schießen“, gab Jonas Meffert zu Protokoll. „Ich glaube nicht, dass viele Trainer in diesem Moment so entschieden hätten. Die Mannschaft hat diese Anpassung super angenommen.“ Die eingewechselten Sonny Kittel und Laszlo Benes ordneten daraufhin das zahlenmäßig aufgestockte Mittelfeld, 20 Minuten später legten Walter und Co. mit Andras Nemeth und Noah Katterbach mit weiteren frischen Kräften nach.
Zur Wahrheit gehört zwar auch, dass die Rothosen nach dem Seitenwechsel zunächst zehn bis 15 Minuten zur Eingewöhnung benötigten und durchaus mit 0:4 ins Hintertreffen hätten geraten können, doch das eine besagte Tor fiel und mit Vorlagengeber Benes und Torschütze Nemeth waren zwei Joker direkt am wichtigen 1:3 beteiligt. Während sich der 1. FC Heidenheim, der 60 Minuten eindrucksvoll Tempo aufs Geläuf gebracht hatte und am Ende mit einer Laufleistung von mehr als 127 Kilometer aufwartete, kurz nach dem Anschlusstreffer aufgrund von schwindenden Kräften zu einem Dreifachwechsel gezwungen sah, riss der HSV das Momentum komplett an sich. Glatzel stellte nur sieben Minuten nach dem Treffer seines Sturmpartners mit einer großartigen Einzelleistung auf 2:3 und spätestens jetzt war im beispiellos unterstützenden Gästeblock der Glaube an Punkte zurückgekehrt.

... und ein kippendes Momentum
Während Heidenheim wankte, war beim HSV aus dem Mut der Verzweiflung längst wieder spielerische Dominanz und Selbstverständlichkeit geworden. Bakery Jatta belohnte die Never-give-up-Mentalität der Rothosen schließlich mit einem satten Schuss in den Giebel und sorgte bei allen HSVern für die komplette Ekstase. Fast schon selbstredend, dass mit dem starken Katterbach erneut ein Einwechselspieler und Neuzugang als Vorlagengeber seine Füße mit im Spiel hatte. „Am Ende war es ein glücklicher, aber irgendwie auch verdienter Punkt. Denn wir wollten am Ende unbedingt noch gewinnen und wer weiß, ob uns das bei zehn weiteren Minuten nicht auch noch gelungen wäre“, erklärte Meffert. Das 4:3 wäre angesichts der sehr starken Vorstellung der Heidenheimer aus neutraler Sicht etwas zu viel des Guten gewesen, doch Kittel hatte in der Nachspielzeit per Fernschuss die Krönung und damit vierte Torbeteiligung eines Einwechselspielers durchaus noch auf dem Fuß.
Das Comeback der Rothosen war letztlich aber auch ohne Krönung absolut historisch: Erst zum dritten Mal in der Clubgeschichte und erstmals seit fast 46 Jahren hatten die Hamburger in einem Bundesligaspiel aus einem 0:3 noch ein 3:3 gemacht. Zuvor war diese Aufholjagd am 21. März 1964 gegen den Meidericher Spielverein und am 19. März 1977 beim 1. FC Köln gelungen. Bei aller Euphorie über den „gefühlten Sieg“ (Heuer Fernandes) und das nächste Spektakel-Kapitel des „neuen HSV“ (Tim Walter) bemühten sich die Protagonisten der Rothosen in den späten Abendstunden des 11. Februars auch um eine sachliche Einordnung der Begegnung. „Wir haben wieder unter Beweis gestellt, dass man immer mit uns rechnen kann. Über die ersten 60 Minuten, in denen Heidenheim klar die bessere Mannschaft war, müssen wir aber reden“, erklärte Cheftrainer Walter.
Die erste Aufarbeitung erfolgte am heutigen Sonntag in Form einer Analyse mit der Mannschaft. Nur dieses Mal blieben die Inhalte wieder wie gewohnt in der Kabine der resilienten HSV-Mannschaft verborgen. Es gilt auch dieses Mal, die richtigen Schlüsse aus den Worten zu ziehen.