
DFB-Pokal
10.08.17
Troubled Water
Pflichtspielauftakt 2017/18: In der ersten Runde des DFB-Pokals gastiert der HSV beim VfL Osnabrück – ein Duell mit pikanter Vorgeschichte.
Es geht mal wieder an die „Brücke“. Genauer gesagt: An die Bremer Brücke. Allein schon dieser Name! Das Osnabrücker Stadion verdankt ihn der Eisenbahnbrücke, die in direkter Nachbarschaft des Spielfelds die Bremer Straße mit der Bahnverbindung in die Werder-Stadt überquert. Wird es für den HSV die Brücke in Runde zwei? Fest steht, dass der Weg dabei über ein ziemlich heißes Pflaster führt. Oder sagen wir besser: über ganz schön kabbeliges Wasser. Womit wir beim passenden Soundtrack für diese Partie wären: „Bridge Over Troubled Water“ – die Simon&Garfunkel-Ballade von 1969, deren anrührende Cover-Version Mitte Juni anlässlich der Brandkatastrophe vom Londoner Grenfell Tower die Charts stürmte.
Was bringt die Neuauflage des Klassikers VfL vs. HSV? Wird sie ebenfalls ein Hit? Die Osnabrücker, für den Wettbewerb als Pokalsieger Niedersachsens qualifiziert (siehe Tabelle), mischten vergangene Saison gerade aufgrund ihrer Heimstärke lange im Rennen um den Zweitliga-Aufstieg mit. Der HSV ist deshalb gewarnt, auch wenn die ambitionierten Lila-Weißen mit nur zwei Punkten aus vier Spielen und dem derzeitigen vorletzten Tabellenplatz alles andere berauschend in die neue Saison gestartet sind.
Laute Alarmsirenen und grell-blinkende Rundumleuchten liefert auch die Matchhistorie dieses Nordduells zuhauf: Vor Einführung der Bundesliga etwa, in den Jahren der Oberliga Nord zwischen 1947 und 1963, zählte der VfL Osnabrück neben dem HSV, Werder und St. Pauli zu den nur vier Teams, die alle 16 Spielzeiten mitmachten. Die oftmals hart umkämpften Punktspiel-Vergleiche am Rothenbaum und der Bremer Brücke produzierten reichlich Legenden-Stoff. Gut abgehangen aber zugleich auch noch ziemlich frisch sind die Erinnerung an die Spiele im Pokal, der ja bekannter Maßen seine ganz eigenen Gesetzen hat.
1958 und 1959: Nord-Endspiele
Gehen wir bei der Rückschau chronologisch vor und blicken über ein halbes Jahrhundert zurück, als sich sich beide Teams zweimal in bedeutenden Pokalfinals gegenüberstanden. Der Hintergrund: Von Mitte bis Ende der 50er Jahre wurde der DFB-Pokal auf Bundesebene lediglich ab dem Halbfinale ausgespielt. Entsprechend der fünf Oberligen war Fußball-Deutschland auch in Sachen Pokal damals in fünf Gebiete aufgeteilt: Die großen Regionalverbände Nord, West, Südwest und Süd durften drei ihrer vier Pokalsieger direkt ins Halbfinale entsenden. Jährlich wechselnd musste der vierte in einem Quali-Spiel gegen den Vertreter Berlins den letzten Teilnehmer der DFB-Vorschlussrunde ermitteln. So gab es in Deutschland in diesen Jahren zwischen 1956 und 1960 neben dem „großen“ Bundesfinale immer auch fünf damit direkt verbundene „kleine“ Pokalendspiele. Der HSV war im Norden natürlich stets beteiligt: 1956 siegten die Rothosen gegen Holstein Kiel (3:1), 1957 gegen Altona 93 (4:1) und 1960 gegen Werder (4:2). Und in den Jahren dazwischen hieß der Final-Gegner zweimal VfL Osnabrück. Am 22. Juni 1958 siegte der VfL im Stadion von Lokalrivalen Eintracht an der Brinkstraße sensationell mit 3:2. Das Hamburger Abendblatt analysierte nüchtern: „Ohne Uwe Seeler fehlte dem HSV-Angriff die Wucht, die nötigen Tore zu schießen. Da auch Torhüter Schnoor keinen glücklichen Tag hatte, gewannen die Niedersachsen über 2:0 und 3:1 verhältnismäßig glatt.“ Der DFB-Pokal fand also in seiner entscheidenden Phase ohne den HSV statt – eine Schmach. Auch Osnabrück konnte den Norden nicht vertreten, scheiterte anschließend in der Halbfinal-Qualifikation knapp an Tasmania Berlin. Im Jahr darauf konnte der HSV diese Scharte aber sofort wieder auswetzen. Mit 4:2 gelang am Rothenbaum die Revanche gegen die viel zu defensiv und zaghaft agierende Osnabrücker. Rechtsaußen „Micky“ Neisner avancierte als dreifacher Torschütze zum Matchwinner und Pokalhelden.
1988: Eklat um Jupp Koitka
Pokalduell Nr. 3 datiert vom 24. September 1988, als 9.000 Zuschauer der Zweitrunden-Begegnung an der Bremer Brücke bewohnten. Sie erlebten einen HSV, der seiner Favoritenrolle schnell gerecht wurde. Vor allem das Mittelfeld-Duo Uwe Bein und Thomas von Heesen zog ganz groß auf. Letzterer besorgte schon nach sieben Minuten die frühe Führung. Alles sah nach einem hohen Sieg aus, doch es blieb bei diesem einen Treffer. Anfang der zweiten Halbzeit kam es zum Bruch im HSV-Spiel und zu einem handfesten Eklat. In der 53. Minute war HSV-Keeper Jupp Koitka aus seinem Strafraum gestürmt und hatte dabei VfL-Angreifer Heikko Glöde umgerannt. Schiedsrichter Dieter Pauly wertete die Aktion als „rohes Spiel“, Koitka habe keine Chance gehabt, den Ball zu spielen – rote Karte! Als der Referee Koitka beim Verlassen des Platzes auch noch den Handschlag verweigerte, warf ihm dieser erbost seine Torwart-Handschuhe vor die Füße. Noch in der Kabine ereiferte sich der HSVer: „Ich habe überhaupt nichts getan. Ein Pressschlag.“ Später legte Koitka nach und forderte Rehabilitation: „So etwas wie mit Glöde passiert in jedem Fußballspiel zigmal. Und wie oft werden wir Torhüter unfair angegriffen? Da passiert nichts. Uns müssen wohl erst die Ohren abgetreten werden, um die Sünder vom Platz zu stellen. Wenn ich in jeder Situation noch lange überlegen müßte: Darfst du nun in den Zweikampf, oder wüst du vielleicht vom Platz gestellt dann kann ich die Stiefel gleich an den Nagel hängen. Ich zahle nicht eine Mark dafür, weil ich nichts gemacht habe. Eher höre ich auf."
Der Freispruch blieb aus, die Verhandlung unter Vorsitz von DFB-Chefankläger Hans Kindermann verkam zur Farce. Jupp Koitka wurde für vier (!) Wochen gesperrt, TV-Aufnahmen, die der Sender RTLplus zur Verfügung stellte, wurden ebenso ignoriert wie die Aussage des beteiligten Osnabrückers Heikko Glöde: „Wir kämpften um den Ball, ein Zusammenprall war unvermeidlich.“ Koitka verließ wutentbrannt und türknallend den Sitzungssaal, HSV-Sportchef Erich Ribbeck hatte bereits vor dem Termin in Frankfurt geunkt: „Egal was man auch entlastend vorbringt. Koitka wird bestraft. Das war schon immer so.“
Für den Torwart hatte das Osnabrücker Pokalspiel aber noch gravierendere Folgen. Er machte anschließend nur noch vier Pflichtspiele für den HSV. Nicht nur für den Rest des Pokalabends in Osnabrück übernahm Youngster Richard Golz seinen Platz im HSV-Tor.
2009: Last-Minute- und Elfer-Drama
Das vorerst letzte Kapitel der Pokalgeschichte ereignete sich vor knapp acht Jahren. Ein unvergessliches Flutlicht-Drama und Gefühlswechselbad in mindestens fünf Akten: 1. Der Außenseiter muckt auf: nach offen gestalteter 1. Halbzeit schlugen die Platzherren durch Hansen per Abstauber (52.) und Siegert nach Solo mit 25-Meter-Schuss (67.) zu. 2. Der Favorit wankte mächtig, fiel aber nicht: Petric machte es ebenfalls aus der Distanz (77.), Trochowski cool vom Elferpunkt – Ausgleich in der 2. Minute der Nachspielzeit. 3. Verlängerung, Sensation (scheinbar) abgewendet: Der HSV nutzte die Osnabrücker Ernüchterung. Demel traf aus spitzem Winkel per Torwart-Tunnel (100.). Das war‘s, oder? Nix da! Denn …4. Krachendes Osnabrücker Comeback: Joker Grieneisen zog mit vollem Risiko ab - 3:3 (116.). 5. Finales Nervenspiel: Im Elferschießen verwandelten alle vier Schützen des Drittligisten, während der erste (Tesche) und vierte Versuch des HSV (Petric) nicht im Netz zappelten. Der David hatte mal wieder die Zwille rausgeholt und den Goliath zu Fall gebracht.
Ganz so sensationell und aufwühlend muss es jetzt am Sonnabend ja nicht wieder zugehen. Wir hoffen auf einigermaßen ruhige See und eine stabile (Bremer) Brücke.
Die Pokal-Duelle HSV vs. VfL Osnabrück
Datum | Runde | Spielort | Ergebnis | Zuschauer |
---|---|---|---|---|
21.06.1958 | NFV-Pokal, Finale | Osnabrück, Brinkstraße | 2:3 (1:2) | 6.000 |
09.09.1959 | NFV-Pokal, Finale | Hamburg, Rothenbaum | 4:2 (2:0) | 10.000 |
25.09.1988 | DFB-Pokal, 2. Runde | Osnabrück, Bremer Brücke | 1:0 (1:0) | 9.000 |
23.09.2009 | DFB-Pokal, 2. Runde | Osnabrück, Bremer Brücke | 3:3 n.V. (0:0, 2:2), 2:4 i.E. | 16.130 |
13.08.2017 | DFB-Pokal, 1. Runde | Osnabrück, Bremer Brücke |