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Interview

13.11.20

"Pro Geisterspiel 1,5 Millionen Euro Umsatzausfall"

HSV-Vorstand Frank Wettstein bezieht im Interview Stellung zum Jahresergebnis und erläutert die Auswirkungen der Corona-Pandemie.

Am heutigen Freitag (13.11.) hat der HSV den Jahresabschluss zum 30. Juni 2020 und Lagebericht für das Geschäftsjahr 2019/20 veröffentlicht. Vorstand Frank Wettstein äußert sich gegenüber HSV.de zum Jahresergebnis. 

Der Aufsichtsrat hat den Jahresabschluss zum 30. Juni 2020 gebilligt. Wie bewerten Sie den Geschäftsverlauf?

Frank Wettstein: Bis zum Beginn der Pandemie waren wir mit dem Geschäftsverlauf sehr zufrieden und hatten alle unsere Prognosen übertroffen. Dem Ziel einer nachhaltigen schwarzen Null waren wir zu diesem Zeitpunkt sehr nahe. Ab dem Monat März 2020 hat sich diese Entwicklung komplett verändert. Und dennoch sollten wir zufrieden sein, dass die Saison – wenngleich ohne Zuschauer – bis zum 30. Juni 2020 zu Ende gespielt werden konnte, denn zwischenzeitlich standen auch ein Abbruch der Saison oder eine Aussetzung für einen unbestimmten Zeitraum zur Diskussion. 

Die Auswirkungen der Pandemie lassen sich leicht an der Entwicklung der Umsatzerlöse ablesen, deren Rückgang nicht annähernd durch Aufwandskürzungen kompensiert werden kann. Nichtsdestotrotz konnten wir auf Grund der zum Zeitpunkt des Pandemiebeginns vorhandenen finanziellen Reserven weiter planmäßig unsere Verbindlichkeiten reduzieren. 

Die Jahresabschlüsse fast aller Erst- und Zweitligaclubs beinhalten enorme Umsatzeinbußen, bei einigen Clubs auch verbunden mit vereinbarten „Rettungsmaßnahmen“ wie Landesbürgschaften. Wie sehen Sie den HSV im Vergleich zu Wettbewerbern für die anhaltende Krisenzeit aufgestellt?

Die Folgen für die gesamte Wirtschaft sind derzeit gravierend, für viele Unternehmen sind sie existenzbedrohend. Auch der Profifußball wird hart getroffen, die Clubs können aber bisher zumindest in Teilen ihrer Aufgabe nachkommen. In diesen dennoch so herausfordernden Zeiten helfen uns Wettbewerbsvergleiche nicht, vielmehr muss jeder Standort seinen eigenen, geeigneten Weg zur Bewältigung der Krise finden. Dem Fußball ist insgesamt zu wünschen, dass das sportliche Ergebnis und die Ligazusammensetzung auf den Plätzen und nicht in Parlamenten oder bei Banken entschieden werden. Wie von mir bereits zu Beginn der Pandemie gesagt, werden uns die Folgen über mindestens fünf Jahre begleiten. Dies gilt nach wie vor. Und frühestens dann kennen wir die Schlussrechnung. 

Wie wirkt sich die Corona-Krise konkret auf den Jahresabschluss des HSV aus?  

Unmittelbar vor Beginn der Pandemie haben wir unsere Planung für die Lizenzerteilung durch die DFL aufgestellt. Allein die Erträge aus dem Spielbetrieb blieben durch die fünf Heimspiele ohne Zuschauer um EUR 6,5 Mio. hinter dieser Erwartung zurück. Mit den ausbleibenden weiteren Erlösen rund um die Spieltage beträgt der Umsatzausfall pro Geisterspiel damit rund EUR 1,5 Mio. Durch Kurzarbeit, Gehaltsverzichte und auf Grund des verpassten Saisonziels eingesparter Prämien konnte der Personalaufwand in einer Größenordnung von EUR 3,7 Mio. entlastet werden. Die coronabedingten Auswirkungen auf den Jahresabschluss liegen insgesamt aber oberhalb von EUR 6,0 Mio. 

Diese Auswirkungen dürften sich im laufenden Geschäftsjahr fortsetzen. Wie geht der HSV mit dieser Situation um?

Ohne Frage, die Auswirkungen treffen uns in der laufenden Saison deutlich härter, wobei insbesondere die Unsicherheit in Bezug auf die Dauer der pandemiebedingten Einschränkungen eine noch größere Herausforderung darstellt. Der Umsatzausfall pro Heimspiel unter Zuschauerausschluss setzt sich wie in der Vorsaison fort. Unsere Transfererlöse liegen auf einem historischen Tiefststand, was der allgemeinen Entwicklung des Transfermarkts entspricht und die Unsicherheit allerorten widerspiegelt. Glücklicherweise erfahren wir den Zuspruch unserer Partner und Sponsoren – derjenigen, die ihr Engagement fortsetzen, und unserer neuen Partner, die von unserem Weg überzeugt sind. Wir haben eine Vielzahl sehr guter Lösungen zur Kompensation ausbleibender Leistungen finden können. 

Zudem versetzt uns die bereits kommunizierte Absicht des Grundstücksverkaufs an die Freie und Hansestadt Hamburg in die Lage, die weitere Entwicklung der Pandemie mit der erforderlichen Sorgfalt zu beobachten. Es ist aber vollkommen klar, dass wir so schnell wie möglich und so viele Zuschauer wie vertretbar im Volksparkstadion begrüßen möchten, und das nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen. Sollte dies nicht möglich sein, so werden wir mit dem notwendigen Vorlauf weitere Maßnahmen umsetzen können und müssen. 

Eine dieser möglichen Maßnahmen wären weitere Kapitalerhöhungen?

Kapitalerhöhungen können nur dann durchgeführt werden, wenn der rechtliche Rahmen dies zulässt. Die aktuelle Satzung der HSV Fußball AG lässt umfangreiche Kapitalerhöhungen nicht zu und es liegt nicht in meiner Hand, dies zu ändern. Daher sind wir gut beraten, wenn wir uns weiterhin um alternative Lösungsansätze bemühen. Über allem steht immer die frühzeitige und dauerhafte Absicherung der Liquidität, um nicht alternativlose Entscheidungen bei Mitgliedern oder Kapitalgebern einzufordern. Über alles Weitere entscheiden die Gesellschafter. 

Inwieweit verändert sich die Situation je nach sportlichem Ausgang der laufenden Saison?

Die finanziellen Unterschiede zwischen den beiden Bundesligen sind immens, wenn Sie darauf anspielen. Zwar haben uns zwei Jahre in der zweiten Bundesliga finanziell nicht verschlechtert, aber jetzt ringen wir wie alle Bundesligisten mit einer ganz anderen Herausforderung. Wie in der Vergangenheit auch, müssen wir die unterschiedlichen Szenarien für die folgenden Spielzeiten betrachten. Damit meine ich, dass wir auch weiterhin den Verbleib in der zweiten Bundesliga im Blick halten und kaufmännisch nicht den Besserungsfall eines Aufstiegs voraussetzen. Das hat sich in der Vergangenheit bewährt.  

Vielen Dank für das Gespräch.