
Vorbericht
16.06.20
Punkten für die Perspektive
Am Dienstagabend geht es für die Rothosen im Heimspiel gegen den VfL Osnabrück um wichtige Punkte im Kampf um den Aufstieg. Und um das Behaupten der eigenen Position und Perspektive.
Wer vor dem 32. Spieltag einen Blick auf die Liga wirft, der spürt: Jetzt setzt das große Kribbeln ein. Saisonfinale, noch drei Spiele, die Spannung steigt bei allen Beteiligten. Bei allen? Nicht ganz. Dieter Hecking scheint nach 20 Jahren als Trainer im Profifußball nichts so schnell aus der Ruhe zu bringen. Das galt nach Spielen, in denen sein Team in der Nachspielzeit ebenso unglücklich wie unnötig wichtige Punkte liegenließ; und das gilt nach Spieltagen wir dem vergangenen, als seine Mannschaft selbst spät traf und aufgrund der anderen Ergebnisse den 2. Tabellenplatz zurückeroberte. „Wir haben noch nichts gewonnen“, bremst der Coach deshalb direkt eine eventuell aufkommende Sicherheit, „wir sehen ja jeden Spieltag, wie ausgeglichen die Liga ist und was für Ergebnisse sie manchmal hervorbringt.“ Bedeutet: Nicht auf die anderen schauen, nicht rechnen. Sondern arbeiten und punkten. Und das am besten schon am heutigen Dienstagabend (18.30 Uhr, ab 18.15 Uhr live im HSVnetradio) gegen den VfL Osnabrück.
Nach dem 1:0-Erfolg in Dresden hatte sich zum wiederholten Male das Blatt gewendet. Dieses Mal hatte der HSV aufgrund der Stuttgarter Niederlage den 2. Tabellenplatz zurückerobert, zuvor war dies auch schon in die andere Richtung passiert. „Schwankungen gehören im Laufe einer Saison immer dazu“, hatte Hecking fast schon gebetsmühlenartig wiederholt und darauf verwiesen, dass am Ende abgrechnet wird. Und dieses Ende rückt nun Stück für Stück näher, nur noch drei Partien sind es, die nächste davon gegen den Aufsteiger aus Osnabrück. Doch vor genau dieser Denke warnt der Coach: Es geht ja nur gegen den Aufsteiger… Hecking: „Osnabrück ist eine Mannschaft mit zwei Gesichtern. In der Rückrunde haben sie nur neun Punkte geholt, dafür aber sowohl bei Arminia Bielefeld als auch beim VfB Stuttgart gepunktet. Wir wissen entsprechend, dass auch uns in diesem Spiel nichts geschenkt wird.“ Zumal der VfL nur noch zwei Zähler vor dem Relegationsplatz rangiert und selbst dringend Zählbares benötigt.
„Ich kann rechnen, ich will es aber nicht“ Dieter Hecking
Die Punkte braucht auch der HSV unbedingt, um in der komfortabeln Situation zu bleiben, alles selbst in der Hand zu haben. „Wir müssen unser Ding machen“, warnt der Coach davor, zu sehr auf die Konkurrenz zu schauen. „Deren Ergebnisse können wir nicht beeinflussen, aber wir haben selbst in der Hand, was in unseren Spielen passiert.“ Werden diese positiv gestaltet, erübrigt sich der Blick nach Stuttgart und Heidenheim, die ebenfalls noch um den 2. Platz buhlen. Wer von denen jetzt gegen wen spielt und wie die Partien ausgehen müssten – das ist nicht Heckings Welt. „Ich kann rechnen“, sagt der, „ich will es aber nicht.“ Der Hintergrund ist einleuchtend: „Wenn wir unsere Spiele erfolgreich bestreiten, dann brauchen wir nicht zu rechnen, denn dann können die anderen spielen wie sie wollen. Aber wir werden nur erfolgreich sein, wenn wir uns immer voll und ganz auf die nächste Aufgabe konzentrieren.“
Dass sein Team diese erfolgreich meistern wird, davon ist Hecking überzeugt. „Ich vertraue unserer Mannschaft zu 100 Prozent. Auch wenn wir kein Team sind, das wie ein heißes Messer durch die Butter geht, sind wir auf einem sehr guten Weg, sehr stabil.“ Was Hecking meint: Von den letzten sieben Spielen verlor der HSV nur eines, ist in der Rückrundentabelle auf Platz 4 oben dabei und hat als drittheimstärkstes Team der Liga noch zwei Heimspiele auf dem Weg zum großen Ziel. Aber wie gesagt: Erst einmal zählt nur Osnabrück. Und für diese Partie fordert der Trainer eine weitere Leistungssteigerung seiner Mannschaft, in der Rick van Drongelen gesperrt fehlen wird. Er könnte in der Innenverteidigung durch Gideon Jung ersetzt werden, aber auch weitere Alternativen bieten sich dem Trainer an: Jordan Beyer, falls er rechtzeitig fit wird, oder auch Stephan Ambrosius, der sich im Training sehr gut macht. Im Mittelfeld wird der angeschlagene David Kinsombi rechtzeitig fit werden, bei Jerry Dudziak wird sich im Laufe des Spieltags entscheiden, ob er dabei sein kann.
„Wir schauen nicht auf die anderen, sondern nur auf uns, denn wir haben alles selbst in der Hand“ Dieter Hecking
Auf jeden Fall mit der von der Partie ist der Kapitän: Aaron Hunt war in den letzten Spielen Dreh- und Angelpunkt des HSV und marschierte in jeglicher Form als absolutes Vorbild vorweg. Denn Hunt hatte nicht nur – wie so oft – die meisten Ballkontakte und bereitete die meisten Torschüsse vor, sondern er rannte auch die meisten Kilometer und rettete in Dresden gleich zweimal in höchster Not im eigenen Fünfmeterraum. „Aaron war nicht umsonst Nationalspieler und jahrelang ein herausragender Bundesligaspieler“, lobt auch Hecking seinen Käpt’n. „Ich kenne Aaron schon so viele Jahre und weiß genau, wie wichtig er für diese Mannschaft ist, wenn er fit ist.“ Und das ist Hunt, der die Corona-Pause nutzen konnte, um nach seiner Verletzungspause wieder auf sein Top-Level zu kommen. Und nun in den entscheidenden Spielen seine Mannschaft anführt und mitzieht.
Außerdem können sich Hecking und der HSV auf ihr neues Traumduo verlassen. Obwohl Joel Pohjanpalo erst im Winter zum HSV stieß, traf er bereits achtmal – zu fünf Treffern hiervon leistete der erfolgreichste Torvorbereiter der Liga den Assist: Tim Leibold. Hamburgs Linksverteidiger performt so zuverlässig, dass es extrem schade wäre, würde er im Endspurt ein Spiel verpassen, allerdings steht er – genau wie Bakery Jatta und Lukas Hinterseer – bei vier Gelben Karten. Doch davon werden sich „Leibe“ & Co. nicht abschrecken und zurückhalten lassen. Denn es zählt nicht das Spiel danach, sondern nur die aktuellen 90 Minuten. Und in denen wollen die Rothosen mit aller Macht den nächsten Dreier einfahren. Damit man auch vor dem 33. Spieltag sagen kann: „Wir schauen nicht auf die anderen, sondern nur auf uns, denn wir haben alles selbst in der Hand.“ Das ist nämlich die Perspektive, die nicht nur Dieter Hecking für den Blick auf die Lage der Liga am liebsten ist.