
Interview
07.05.25
"Wir sind noch nicht am Ziel, sondern nur ganz nah dran"
Im HSV.de-Interview spricht Kapitän Sebastian Schonlau über das Mindset vor dem Ulm-Spiel, den diesjährigen Schlüssel zum Erfolg sowie die Verwirklichung des großen Ziels.
HSV.de: „Bascho“, am Samstag besteht die Möglichkeit, mit einem Sieg das langersehnte Ziel vom Bundesliga-Aufstieg zu erreichen. Wie fühlt sich das zum Start in die Trainingswoche an?
Sebastian Schonlau: Wir haben lange darauf hingearbeitet – der gesamte Verein, alle Fans und wir als Spieler und Mannschaft. Die Euphorie ist riesig. Das merkst du überall, wo du angesprochen wirst. Man kriegt die Stimmung rund um den HSV in der Stadt immer mit. Und mittlerweile herrscht nicht mehr das Gefühl „hoffentlich klappt es in diesem Jahr“, sondern das Gefühl „dieses Jahr packen wir es“. Insgesamt fühlt es sich sehr gut an, alles in der eigenen Hand zu haben und es selbst entscheiden zu können. Klar, damals in der Relegation gegen Hertha hätte uns auch ein Sieg oder sogar ein Unentschieden gereicht, aber jetzt befinden wir uns noch innerhalb der Saison und haben zwei Spiele, auch wenn wir es am Samstag direkt klarmachen wollen. Wir gehen diese Aufgabe mit vollem Selbstbewusstsein an.

Das Ziel ist greifbar nah, zugleich müssen noch 90 Minuten gegen einen unangenehmen Gegner gespielt werden, der selbst ums Überleben kämpft. Worauf kommt es in dieser Gemengelage an?
Im Endeffekt fehlt noch ein Schritt. Und genau darum geht´s: Wir dürfen nicht die ganz Zeit über den Moment eines möglichen Aufstiegs nachdenken, sondern müssen das Wissen haben, dass wir für das Ziel vorher noch etwas tun müssen. Deswegen ist es wichtig, dass wir in dieser Woche ganz klar an unserem Plan gegen Ulm arbeiten. Wir wollen sehr seriös trainieren und zugleich diese Energie, die aktuell da ist, mitnehmen. Am Ende ist es – ganz nüchtern betrachtet – ein Fußballspiel gegen den SSV Ulm, in dem wir drei Punkte holen wollen. Und das muss im Vordergrund stehen. Alles andere ergibt sich dann von selbst.
Merkst du, dass diese Herangehensweise bei allen verankert ist, oder musst du als Kapitän noch irgendwie einwirken?
Ich denke, dass die anderthalb freien Tage zu Beginn der Woche gutgetan haben, um diesen Erfolg in Darmstadt auch genießen zu können. Für uns ist es eine lange Reise, und wenn du darauf eine Art Meilenstein wie am letzten Wochenende erreicht hast, dann darfst du den Moment auch mal genießen und musst nicht sofort ans nächste Spiel denken. Das ist wichtig für den Kopf. Jetzt ist das Darmstadt-Spiel aber vorbei und jeder weiß, worum es geht. Wir werden als Führungsgruppe darauf achten, dass das Training genau so intensiv weitergeht, wie es aktuell ist. Denn über eines sind sich alle bewusst: Wir sind noch nicht am Ziel, sondern nur ganz nah dran.
"Die Saison hat gezeigt, dass wir eine gefestigte Mannschaft sind"
Du selbst bist aufgrund deiner 5. Gelben Karte aus dem Darmstadt-Spiel zum Zuschauen verdammt. Hand aufs Herz: Wie weh tut das vor dem Hintergrund, dass du die vergangenen vier Jahre auf dieses Spiel und den möglichen Moment eines Aufstiegs hingearbeitet hast?
Natürlich tut das weh. Ich bin mit der Vorstellung zum HSV gekommen, dass wir irgendwann aufsteigen. Das war von Anfang an das Ziel. Wenn du dir diesen Moment vorstellst, dann stellst du dir nicht vor, neben der Bank zu sitzen, sondern auf dem Platz zu stehen. Aber das ist jetzt völlig egal, denn es geht nicht um mich, sondern um die Mannschaft.
Wie sieht deine Rolle in der Mannschaft dann am Sonnabend aus?
Ich werde möglichst nah dran und auch mit in der Kabine sein. Bestimmt werde ich auch mit dem einen oder anderen im Vorfeld sprechen. Ansonsten besteht meine Aufgabe darin, Energie reinzugeben und die Jungs bestmöglich zu unterstützen. Mehr kann und muss ich aber auch nicht machen. Denn die ganze Saison hat gezeigt, dass wir eine gefestigte Mannschaft sind, die bei weitem nicht mehr so abhängig von einzelnen Spielern ist, wie es in den Jahren zuvor vielleicht war. Ich werde also sicherlich etwas reden, aber die Taten müssen die Jungs folgen lassen. Und das werden sie auch.

Merlin Polzin hat den Wert der Gemeinschaft seit seiner Amtsübernahme immer wieder betont und dabei eingefordert, dass sich alle Spieler frei von persönlichen Befindlichkeiten hinter dem großen Ziel vereinen. Inwieweit ist das der Schlüssel zum diesjährigen Erfolg?
Es hört sich immer etwas blöd an, aber man kann in diesem Jahr wirklich sagen, dass wir eine Mannschaft sind. Und dass wir diesen Aspekt in dieser Saison noch einmal intensiver leben. Es herrscht das Gefühl, dass immer das große Ganze im Fokus steht. Niemand nimmt sich raus, keiner fängt an, schlechte Stimmung zu machen, alle vereinen sich hinter diesem Ziel. Das ist der Weg, der uns zum Erfolg führt. Deshalb ist es am Ende des Tages auch nicht mehr entscheidend, ob ich auf dem Platz stehe, wenn wir am Wochenende hoffentlich gewinnen und aufsteigen werden. Dafür haben wir und ich in den letzten vier Jahren zu viel reingesteckt. Wir wollen es jetzt einfach nur noch packen.
Du sprichst das generelle Investment sowie Höhen und Tiefen über all die Jahre an. Wie bist du mit deiner persönlichen Situation in dieser Saison umgegangen, nachdem du in der Rückrunde deinen Stammplatz verloren hast und Spiele von der Bank verfolgen musstest?
Das ist natürlich nicht das, was ich mir vorgestellt und womit ich in der Winterpause gerechnet habe. Es ist sicherlich das eine oder andere zusammengekommen. Wir alle wissen, wie schnell sich im Fußball Situationen verändern können. Nichtsdestotrotz war ich mir meiner Verantwortung von Anfang an bewusst. Für mich war auch früh klar, dass ich meine Art und Weise nicht verändern will – egal, ob ich jetzt spiele oder nicht. Wenn du allen Leuten immer erzählst, dass die Gruppe über allem steht und wie sehr wir alle brauchen, und dann selbst als erster wegbrichst, wenn es für dich persönlich mal nicht so gut läuft, dann hätte ich meine eigenen dreieinhalb Jahre zuvor ein Stück weit weggeschmissen. Es war definitiv schwer und hat mich den einen oder anderen Gedanken gekostet, aber ich habe meine Rolle nach wie vor inne und versuche, sie bestmöglich auszufüllen.
Was waren das für Gedanken, die dir während dieses Prozesses durch den Kopf gingen?
Ich habe in den Wochen viel über mich selbst gelernt. Wenn es läuft, dann machst du dir relativ wenig Gedanken über das große Ganze. Du lebst etwas in den Tag hinein, versuchst mit anzuschieben und machst einfach. Wenn dir das ein Stück weit verloren geht, dann kommen andere Gedanken auf. Ich habe mich etwa gefragt: Wer bin ich noch neben dem Fußballer? Das ist schließlich ein großer Teil meiner Identität. Mir ist aufgefallen, wie ich auf Rückschläge reagiere, was mich wirklich beschäftigt und was auch dahintersteckt. Solche Gedanken haben mich umgetrieben.

Wie schön hat sich in diesem Zusammenhang das Spiel in Darmstadt angefühlt, als du plötzlich gefragt warst und dann voll geliefert hast? Und wie sehr war dieses Spiel auch ein Sinnbild für eure Gemeinschaft?
Das Spiel hat sehr viel abgerundet. Es ist kein Geheimnis, dass auch etwas Druck herrschte nach den drei Spielen, die wir nicht ganz so gut bestritten haben. Dass wir dann in Darmstadt so ein Spiel abliefern, in dem wir zwar schwer ins Spiel reinkommen, aber dann so konsequent den Plan umsetzen und bereit sind zu kämpfen und zu verteidigen, war unbeschreiblich. Denn genau dieses Spiel stand sinnbildlich dafür, was uns in diesem Jahr auszeichnet: Die ganze Mannschaft hat alles für den Erfolg getan, inklusiver der Spieler, die nicht von Beginn an auf dem Platz standen. Das hat sich auch für mich persönlich phänomenal angefühlt, weil ich nach meiner Einwechslung tatkräftig mithelfen konnte, das zu schaffen.
"Für jeden von uns ist es das Spiel, auf das wir hingearbeitet haben"
Dabei sah es eine Woche zuvor noch anders aus. Nach der 1:2-Niederlage im letzten Heimspiel gegen den KSC hast du laut der Mannschaftskollegen in der Kabine aber die richtigen Worte gefunden. Was war deine Botschaft?
Natürlich war das ein schwerer Rückschlag, weil keiner so richtig damit gerechnet hatte. Alle waren im Kopf schon einen Schritt weiter und sind mit einer anderen Erwartung ins Stadion gekommen. Mir war es einfach wichtig, zu betonten, dass wir es trotzdem schaffen werden, auch wenn es sich in dem Moment selbst schlecht anfühlt. Ich wollte, dass wir trotz der Enttäuschung mit diesem Gefühl aus der Kabine und dem Tag rausgehen: Rückschläge gehören dazu, und ein Rückschlag wird uns nicht von unserem Weg abbringen.
Und welche Botschaft kommt am Samstag rein, wenn du vielleicht nochmal das Wort an die Jungs richten wirst?
Für jeden von uns ist es das Spiel, auf das wir alle hingearbeitet haben. Wir müssen jetzt noch diesen einen Schritt gehen. Und auf diesen Schritt können wir uns wirklich freuen. Das wird die Message sein: Jeder einzelne von uns hat auf unserem gemeinsamen Weg auf seine ganz eigene Art und Weise so viel dafür getan, dass wir unser Ziel erreichen – und jetzt müssen wir nur noch durch die Tür gehen. Und das voller Vorfreunde und Energie.