
Interview
07.04.23
"Eine beeindruckende Einheit!"
Vorstand Jonas Boldt und Cornelius Göbel, Direktor Fans, Kultur und Identität, sprechen im Interview auf hsv.de über die Verbindung zwischen Mannschaft und Anhängerschaft, über Kultur, Entwicklungen und das anstehende Nordduell gegen Hannover 96.
Am Sonnabend steigt das Nordduell gegen Hannover 96, das Teil des jüngst begonnenen Saisonendspurts ist: noch acht Spiele in acht Wochen, ohne Unterbrechung. Wie bewertest du die Ausgangslage im Aufstiegsrennen, Jonas?
Jonas Boldt: Gut. Wir gehen voller Überzeugung in diese letzte Saisonetappe und werden alles einbringen, was wir haben. Ich freue mich sehr auf das Heimspiel gegen Hannover und die tolle Kulisse im Volksparkstadion. „Ausverkauft“ – das löst bei mir nach wie vor besondere Freude aus. Und auch das kann ein entscheidender Pluspunkt in den kommenden Wochen sein: Ich sehe hier bei uns eine beeindruckende Einheit von Mannschaft und Fans. Das macht richtig Spaß und bedeutet für mich persönlich immer auch einen Schuss Extramotivation.
Der 30. Geburtstag des Supporters Club hat zuletzt in Düsseldorf schon für eine außergewöhnliche Atmosphäre gesorgt und dazu beigetragen, dass beim 2:2 gegen die Fortuna erstmals seit vier Jahren wieder ein ausverkauftes Stadion in Düsseldorf gemeldet werden konnte. Wie fandest du die Atmosphäre, Cornelius?
Cornelius Göbel: Unsere Fans haben für einen unvergesslichen Abend gesorgt. Das Bild der ganzen Kurve mit Balkenschals hat nicht nur bei mir für Begeisterung gesorgt. Und es war ja nicht nur die grandiose Personenzahl, die für den Support gesorgt hat. Auch durch das Jubiläumstrikot, in dem unsere Mannschaft dieses 2:2 einspielen konnte, hat die Energie zwischen unserer Anhängerschaft und der Mannschaft symbolisiert. Die Bindung zwischen Mannschaft und Tribüne ist auch aus meiner Sicht seit Monaten ein Schlüssel für den bisherigen gemeinsamen Erfolg und Voraussetzung, um das große Ziel zu erreichen.
Viele Erst- und Zweitligaclubs beklagen rückläufige Zuschauerzahlen und sprechen von einer „Entfremdung“ der Fans zu ihren Clubs. Beim HSV ist dahingegen eher ein Hype erkennbar. Wie ist das zu erklären?
Cornelius Göbel: Ich könnte es wissenschaftlich beschreiben als organisches Wachstum. Dieses lässt sich an sehr vielen Kennzahlen ablesen: Mitgliederzahlen, Ticketverkäufe für Heim- und Auswärtsspiele, Merchandising-Zahlen, die Unterstützung unserer Fußballfrauen, Neugründungen von Fanclubs. Das grundsätzliche Interesse unserer jungen Fans im Kids Club und den Young Ones ist außergewöhnlich. Alle HSV-Fans haben große Lust, den Verein im Kollektiv zur Höchstleistung zu bringen und gemeinsam diese Geschichte weiterzuschreiben. Dabei bauen wir gemeinsam auch eine neue Widerstandsfähigkeit auf. Wir lassen uns intern – und dabei meine ich neben der Organisation auch die Anhängerschaft – nicht mehr so einfach durch Rückschläge oder auch bewusste Störmanöver aus der Bahn werfen. Der Zusammenhalt ist einzigartig. „Wir gehen und stehen zum HSV“ – das bedeutet wieder etwas. Der HSV verbindet Generationen und ist nicht nur groß, wenn es sportlich gut läuft.
Erstaunlich ist, dass zuletzt Nürnbergs Trainer Dieter Hecking und auch Düsseldorfs Trainer Daniel Thioune zur Kulisse befragt sagten, dass sie diese bedingungslose Unterstützung ihres Teams während ihrer HSV-Zeit nicht so gehabt hätten. Was sagst du dazu, Jonas?
Jonas Boldt: Cornelius hat das treffend beschrieben. Hier ist etwas gewachsen, das auch mit den Erlebnissen der Vorjahre zu tun hat. Öffentlich wurde ja in der Vergangenheit auch häufiger mal diskutiert, ob die vielen Fans nicht auch eine Belastung für unsere Mannschaft sein könnten, weil der Druck noch höher sei. Von diesen Theorien höre und lese ich jetzt nicht mehr. Die Unterstützung der Fans beflügelt, sie kann auch mal in einer schwächeren Phase helfen. Ich bin davon überzeugt, dass unsere ehrliche, klare Spielphilosophie und auch die Klarheit unseres Trainers zur Gesamtstimmung beitragen. Mit diesem HSV kann man sich sehr gut identifizieren.
Cornelius Göbel: Absolut. Und dennoch müssen wir mit Blick darauf demütig sein und weiter konzentriert die Balance zwischen kommerziellen Interessen und Fußballkultur finden und dazu stetig im Dialog bleiben. Das alles hier ist und bleibt nämlich nicht selbstverständlich.
Jonas, wie ist denn dein Blick auf die Mannschaft? Im vergangenen Jahr war stets die höchste Prämisse, die Entwicklung jedes Einzelnen und auch des Teams voranzutreiben. In diesem Jahr soll der nächste Schritt folgen.
Jonas Boldt: Das Eine schließt das andere nicht aus. Wir arbeiten immer noch an der Entwicklung jedes Einzelnen, denn nur dann werden wir auch das nächste Leistungslevel erreichen, werden mit schwierigen und herausfordernden Situationen auf und neben dem Platz besser umgehen können. Dabei spielt Fortschritt als Folge einer positiven Entwicklung eine wichtige Rolle. Ich sehe uns da auf einem guten Weg, den wir mit Beharrlichkeit und viel Fleiß fortsetzen müssen.
Spielt teamintern eigentlich ein Begriff wie „Kultur“, also in erster Linie Umgangskultur, eine Rolle?
Jonas Boldt: Natürlich. Auch hierbei gibt es aber keinen Schalter, den man von Aus auf An schalten kann. Kultur kann man nicht einimpfen. Die Zusammenstellung des Kaders, die bewusste Zusammenführung unterschiedlicher Charaktere und Typen, spielt dabei eine Rolle, die Auswahl des Trainerteams ebenfalls. Und dann kommt etwas, das sich eben nicht erzwingen lässt, sondern das in dieser Gruppe entsteht. Das Team braucht einen gesunden Kern, der willig ist und auch das soziale Miteinander im Blick hat. Und ein gutes Trainerteam sollte das mit seinen Mitteln fordern, fördern und stützen, ohne dabei bequem zu werden. Wir versuchen, permanent neue Reize zu setzen. Ich erkenne all diese Komponenten bei uns. Und wer dafür Beispiele wünscht, der braucht sich nur die Haltung unseres Teams und Clubs in den vergangenen Monaten und Jahren anzuschauen. Die Jungs stehen zueinander und auch füreinander ein.
Wie ist es um die übergeordnete Vereinskultur beim HSV bestellt, Cornelius?
Cornelius Göbel: In unserem Stadion findet sich weiterhin ein Querschnitt der Gesellschaft. Wir sind stolz darauf, eine so ausgeprägte Diversität in unserem Stadion zu haben. Bei uns ist jeder und jede willkommen, der oder die den HSV im Herzen trägt und unsere Werte lebt. Unsere Vereinskultur ist ein hohes Gut, die maximal schützenswert ist. Wir müssen weiter daran arbeiten, im Miteinander kritisch zu sein, Debatten zu führen, aber immer im Sinne des HSV zu agieren. Leider haben wir weiterhin zu viele negative Einflüsse und persönliche Interessen von Einzelpersonen. Wir müssen aufeinander aufpassen, einen Weg gehen und uns nicht auf der Strecke verlieren. Das stetige Gegeneinander und machtpolitische Spiel hat nie für große Bewunderung gesorgt und war vermutlich die größte Achillesferse in den letzten Jahrzehnten.
Zum Abschluss noch eine kurze Frage mit der Bitte um eine kurze Antwort: Was braucht der HSV für einen weiterhin erfolgreichen Saisonverlauf?
Cornelius Göbel: Die tolle Energie des Miteinanders und weiterhin Mut.
Jonas Boldt: Wir brauchen Arithmetik und Dynamik. Punkten durch gute Spiele und Funken durch Überzeugung.
Vielen Dank für das Gespräch.