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Saison

12.09.18

Heidenheims bester Kicker – ein großer HSVer

Am Sonnabend empfängt der HSV im Volksparkstadion den 1. FC Heidenheim. Zum Gegner aus der 50.000 Einwohner zählenden Stadt findet sich im HSV-Archiv kein Eintrag. Man ist hier quasi "blank". Doch halt! Apropos! Ausgerechnet der verdiente HSVer Horst Blankenburg zählt zu den „berühmten Söhnen der Stadt“.

Horst Blankenburg erinnert sich gern an seine fußballerische Heimat: „Meine Mutter war gebürtige Heidenheimerin. Mein Vater stammte aus Berlin und kam als Kriegsflüchtling nach Schwaben. Er arbeitete in der Fabrik und war nebenbei Platzwart beim VfL, dem Vorläuferklub des heutigen 1. FC. Unser Haus stand etwa zehn Meter vom Sportplatz entfernt. Nach der Schule bin ich immer sofort raus zum Bolzen, habe dort quasi meine ganze Kindheit verbracht.“ 1964 besiegte die A-Jugend des VfL Heidenheim den großen VfB Stuttgart im Finale um die württembergische Meisterschaft sensationell mit 2:1. Kopf, Seele und Hirn des Heidenheimer Spiels war der 17-jährige Blankenburg. Ruhe am Ball, eine hervorragende Übersicht und eine einzigartige Eleganz – obwohl es damals noch kein „Scouting“ gab, hatten sich die außergewöhnlichen Fähigkeiten des Blondschopfs längst herumgesprochen, der Weg in den Profifußball war für den gelernten Maschinenschlosser vorgezeichnet. 

Als Erster griff Max Merkel vom 1. FC Nürnberg zu. Und mit dem „Club“ wurde Blankenburg 1967/68, gleich in seiner ersten Profi-Spielzeit, Deutscher Meister, „ohne jedoch etwas dazu beigetragen zu haben“. Blankenburg absolvierte, auch wegen eines schweren Autounfalls, der ihn drei Monate ans Krankenbett fesselte, für die Franken kein einziges Ligaspiel. Besser lief es anschließend beim Wiener SC und bei 1860 München, wo Ajax Amsterdam Ende 1970 auf den technisch beschlagenen Spieler aufmerksam wurde. Dessen Trainer Rinus Michels suchte nach einem Nachfolger für den scheidenden Velibor Vasovic – und landete mit dem Heidenheimer einen Volltreffer.

In Amsterdam traf Blankenburg auf zehn holländische Nationalspieler, große Namen wie Johan Neeskens, Arie Haan, Ruud Krol oder Piet Keizer. Und natürlich auf Johan Cruyff. Der Schwabe setzte sich schnell durch, ignorierte die zuvor von Vielen geäußerten Bedenken ob seiner Herkunft und ging direkt in die Offensive: „Ich hatte schon immer eine große Klappe, konnte ja nichts für den Krieg und sagte den Jungs: ¸Hallo, hier ist der Deutsche, den ihr nicht abkönnt.'" Entwaffnende Offenheit, die bestens ankam. Ajax und Blankenburg – das passte. Mitspieler und Fans liebten den blonden Deutschen mit dem losen Mundwerk.

„Wir waren die Besten!“

Auch auf dem Platz agierte Blankenburg – wie alle Ajax-Abwehrspieler – äußerst offensiv. Es war die revolutionäre Taktik, die Ajax zur atemberaubendsten, modernsten und erfolgreichsten Mannschaft Europas machte. „Wir standen fünf Meter hinter der Mittellinie und stellten den Gegner abseits“, erinnert sich Blankenburg. „Wir waren die erste Mannschaft, die presste, also die gegnerischen Abwehrspieler schon beim Versuch, das Spiel aufzubauen, attackierte.“ Trainer Rinus Michels kreierte diesen „Totaal Voetbal“. Sein Nachfolger, der Rumäne Stefan Kovacs, erweiterte und verfeinerte ihn. Blankenburg erklärt: „Michels war ein Disziplin-Fanatiker. Bei ihm hatte man Angst, Fehler zu begehen, Kovacs hingegen war eine Frohnatur, er kannte die menschliche Unzulänglichkeiten und verzieh Fehler. Das hatte zur Folge, dass wir uns freier fühlten und die Kreativität eines Genies wie Johan Cruyff sich erst voll entfalten konnte.“ Der Fußball, den Ajax zelebrierte, gilt vielen bis heute als Inbegriff der Schönheit. Für Horst Blankenburg war das lediglich ein Nebenprodukt: „Wenn Intellektuelle in diese Mannschaft hineinprojizieren, dass wir Künstler gewesen seien, kann ich nur sagen: In unserer Kabine haben wir keine hochtrabenden Diskussionen geführt. Wir wollten Erfolg haben – unbedingt! Und im Gegensatz zu vielen anderen niederländischen Teams, die in Schönheit gestorben sind, haben wir diesen Erfolg auch tatsächlich gehabt." 

Dreimal hintereinander gewann Blankenburg mit Ajax den Europapokal der Landesmeister (1971-73), wurde jeweils zweimal niederländischer Meister und Pokalsieger, holte die ersten beiden UEFA-Supercups sowie den Weltpokal. Die Spieler von damals sind in Amsterdam noch immer Legenden. In Watergraafsmeer, im Osten der Stadt, wo sich früher das alte Ajax-Stadion „De Meer“ befand, wurden zwölf Brücken nach ihnen benannt. Eine dieser Brücken trägt den Namen Horst Blankenburg. Der resümiert: „Bei aller Bescheidenheit. Jede Ajax-Mannschaft muss sich von Neuem an uns messen lassen. Wir waren die Besten!“ Wichtig ist Blankenburg aber zu betonen: „Es gab viele Titel und große Momente. Der größte aber war, als ich Cruyff das erste Mal Fußball spielen sah. Er konnte alles. Ich habe sie alle gesehen: Beckenbauer, Eúsebio, Charlton, Best, Mazzola, Müller, Rivera. Keiner kommt an Johan heran.“

„Schön kann mich am Arsch lecken!“ 

In Blankenburgs Vita klafft trotz der vielen Erfolge eine auffällige Lücke. „Ich bin nicht glücklich, aber zufrieden“, sagt der 71-Jährige heute im Rückblick auf seine Karriere. So steht für den Weltklasse-Libero außer einem Einsatz für die Junioren-Auswahl im Jahr 1969 kein einziges Länderspiel zu Buche. Zum einen hatte Blankenburg das Pech, dass auf seiner Position zeitgleich ein gewisser Franz Beckenbauer brillierte. Zum anderen, so gibt er zu, „bin teilweise selber daran Schuld“. Und das kam so: Nach dem dritten Europacup-Finalsieg 1973 über Juventus Turin ging es in Belgrad mit der Mannschaft, einigen Journalisten und Juves Helmut Haller ins Casino. Die Spieler zischten Bier um Bier, die Stimmung war aufgekratzt und ausgelassen. „Da steckte mir ein Journalist, dass Bundestrainer Helmut Schön angeblich gesagt habe: ,Der Blankenburg ist mir noch nie aufgefallen. Ich wüsste nicht, warum ich ihn aufstellen sollte.‘ Ich war natürlich sauer und antwortete dem Journalisten: ,Schön kann mich am Arsch lecken!‘ - Und das hat er dann auch gemacht!“ Blankenburgs Äußerung blieb nicht unveröffentlicht und war das Ende seiner Nationalmannschaftsträume. 

Doch Mitspieler Johan Cruyff hatte noch eine Idee. Der Mann, den er als besseren Libero als den großen Franz Beckenbauer einstufte, sollte eingebürgert werden: Cruyff und Arie Haan wurden persönlich bei Königin Juliana vorstellig. Die gab den Antrag an das zuständige Amt weiter, das Horst Blankenburg noch vor der WM 1974 einbestellte. Bravourös und in fließendem Holländisch beantwortete der Fußballer die Fragen der Prüfer, wusste Geschichtliches und Kulturelles von dem Land, dessen Landsmann er werden wollte. Doch ausgerechnet bei der Frage zur Nationalhymne „Het Wilhelmus“ patzte er. „Horst van Heidenheim van Duytschen bloet“ war nicht textsicher und fiel durch. Die Heim-WM 1974 verfolgte Blankenburg neben Uwe Seeler als Experte für das deutsche Fernsehen. Während er die Spiele der niederländischen „Elftal“ analysierte, war er tief im Innersten sehr traurig. „Ich wusste: Ich hätte dabei sein können. Mir hätte ja auch ein Platz auf der Bank gereicht", sagt er heute.

 

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