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Verein

03.11.16

„Ich hatte immer den Willen, mehr zu erreichen!“

Am kommenden Samstag feiert HSV-Legende Uwe Seeler seinen 80. Geburtstag. Zu diesem Anlass erscheint eine ganz besondere Ausgabe der HSVlive, die sich auf 116 Seiten dem Leben des besten HSVers aller Zeiten widmet. HSV.de veröffentlicht vorab Auszüge aus dem Heft.

Im ausführlichen Interview mit der HSVlive blickt Uwe Seeler auf seine illustre Karriere zurück. Von seinen Anfängen als Fußballer in der Nachkriegszeit, über seinen Weg in die Nationalmannschaft, bis hin zu verlockenden Angeboten aus Italien und seinen schönsten Treffern und Triumphen. HSV.de veröffentlicht vorab Auszüge aus dem Interview, das Dieter Matz, jahrzehntelang beruflicher und privater Wegbegleiter Uwe Seelers, mit dem größten HSVer aller Zeiten geführt hat. 

Die neue HSVlive, die sich auf 116 Seiten dem Leben der HSV-Legende widmet, erscheint dann am Freitag (4. November) kostenlos in der "HSV-Magazin"-App und ist zudem in Printform in allen Fanshops erhältlich.    

HSVlive: Uwe, du bist als Sohn eines berühmten Fußballers aufgewachsen. Inwieweit hat dein Vater damals auf dich eingewirkt, damit du ebenfalls Fußballer wirst?

Uwe Seeler: Mein Vater hat mich nie dazu gedrängt. Seitdem ich laufen kann, spiele ich Fußball oder jage dem Ball hinterher. Genauso war es bei meinem fünf Jahre älteren Bruder Dieter. Ich bin einfach immer mit hinterhergelaufen, insofern kam das von selbst. Da brauchte mich keiner antreiben. Nur war es damals eine ganz schlechte Zeit, die Kriegszeit. Wir haben uns in den Trümmern unsere Fußballplätze gemacht oder auf Kopfsteinpflaster in den Straßen gespielt. Vor allem gab es damals ja auch keine vernünftigen Bälle. Die haben wir uns selbst gebastelt, das waren mehr Ostereier als Fußbälle. Aber wir hatten etwas zum Gegentreten – das hat uns Spaß gemacht. Und wie heißt es so treffend: Was es nicht gibt, vermisst man nicht.

Herbert Kühl, ein damaliger Nachbarsjunge von dir, hat mal erzählt, dass manchmal auch ein Tennisball ausreichte.

Seeler: Klar, das ging auch mal mit einem kleinen Tennisball. Damit haben wir dann von Bordsteinkante zu Bordsteinkante stundenlang gespielt. Das kann sich ja heute gar keiner mehr vorstellen, aber die Bälle hatten wirklich alle verschiedene Größen und Formen. Solange wir damit spielen konnten, war uns alles andere egal. Das ging so weit, dass ich komplett die Zeit auf der Straße verloren habe. Wenn der Ball rollte, war ich immer dabei – egal wo! Das geschah übrigens sehr zur Freude meiner Eltern. Denn wenn ich abends heimkehrte, war ich immer der größte Drecksspatz und meine Mutter hatte große Mühe, mich wieder sauber zu kriegen.

„Damit ihr beiden Bescheid wisst, Weicheier will ich hier zu Hause nicht haben. Wenn ihr mal eine Verletzung habt, dann packt einen nassen Lappen drauf und dann geht‘s weiter.“ Erwin Seeler 

Nun war dein Vater damals wie angesprochen eine echte Fußballgröße in Hamburg. Wie hast du das wahrgenommen?

Seeler: Ich habe meinen Vater bei seinen Spielen immer begleitet und dann ganz genau beobachtet. Er war ein ziemlich harter Hund und ein guter Fußballer. Deswegen hat er meinen Bruder und mich auch mal auf einen Stuhl gesetzt und uns eine Ansage gemacht. Er sagte: „Damit ihr beiden Bescheid wisst, Weicheier will ich hier zu Hause nicht haben. Wenn ihr mal eine Verletzung habt, dann packt einen nassen Lappen drauf und dann geht‘s weiter.“ Das hat echt gesessen.

Gab es von dieser Art der Ansagen noch mehr?

Seeler: Ja, mir bleibt ebenso gut sein Satz im Gedächtnis: „Geld ist nicht alles.“ Mein Vater war Ewerführer im Hafen und wir wussten, dass er gerade in der Nachkriegszeit extrem viele Schichten hatte, sehr hart gearbeitet und trotzdem Fußball gespielt hat. Er hat nie gejammert. Also war für uns klar: Wir dürfen auch nicht jammern.

Gejammert wurde später während deiner großen Karriere auch nicht. Im Gegenteil: Du hast mit deinem Ehrgeiz auch mal übertrieben, oder?

Seeler: Ich bin auf dem Sportplatz ein völlig anderer Typ gewesen. Nicht wie sonst ruhig und bescheiden, sondern sehr laut. Ich wollte gewinnen, war sehr ehrgeizig und habe auch viel gemeckert. Dann bin ich nach hinten gelaufen und habe gerufen: „Was spielt ihr denn hier für einen Mist?“.

Nach dem Spiel wurden dir solche Sätze aber verziehen?

Seeler: Ja logisch, meine Mitspieler kannten mich ja alle und wussten, wie ich normal war. Aber im Spiel, wenn es um alles ging – um den Sieg – dann wollte ich gewinnen. Und wenn einer nicht so mitzog, dann hat er eben etwas Dampf bekommen. In meinen Augen müssen doch in jeder guten Mannschaft zwei, drei solche Spieler sein, die auch mal etwas sagen dürfen. Das ist ja nicht ernst gemeint, sondern die Mannschaft hat ja Spaß gemacht. Wenn ich gemeckert habe, dann haben sie auch oft gesagt: „Geh nach vorne und schieß dein Tor, dann haben wir Ruhe.“ (lacht) Das war selbstverständlich – wir wollten als Mannschaft immer gewinnen, da durfte jeder seine Meinung sagen.

Dein Motto war ja auch „Gewinnen wollen, verlieren können.“ Bei Niederlagen bist du dann zu Hause aufgebaut worden, bei deinen vier Mädels?

Seeler: Oh ja, ich brauchte mindestens ein oder zwei Stunden für mich. Meine Frau hat den Kindern dann immer gesagt: „Seid ruhig, Papa braucht eine Stunde, dann könnt ihr wieder.“ Ich musste in diesen Momenten echt entspannen, aber danach war es auch wieder gut. Ich habe dann schnell an das nächste Spiel gedacht, die Niederlage verarbeitet und ad acta gelegt.

Dein großer Ehrgeiz ist bekannt. Du hast mehr trainiert als andere, obwohl es etwas stockend anfing. In der Kindheit hast du auf das HSV-Training in Ochsenzoll weniger Wert gelegt und hast lieber in der Straße gedaddelt.

Seeler: In der Straße haben wir täglich gebolzt – Straße gegen Straße. Die Jungs dort brauchten mich, haben mir das Training mehr oder weniger ausgeredet. Dann hat mein Vater mir irgendwann folgenden Gruß von Günter Mahlmann bestellt: „Wenn dein Sohn meint, er müsse nicht zum Training kommen, dann braucht er auch nicht zum Spiel kommen.“ Ab diesem Zeitpunkt war ich grundsätzlich immer beim Training. Ansonsten habe ich ja Tag und Nacht Fußball gespielt.

"Das ganze Leben ist üben. Wenn du dauernd übst, dann kannst du‘s!"

Du hast auch immer viele Sonderschichten beim Training am Rothenbaum eingelegt.

Seeler: Kopfballpendel, Flankenspiel mit Charly, einfach alles. Das habe ich aus Spaß gemacht. Es war ja nie so, dass man mich zwingen musste, sondern ich hatte einfach den Willen mehr zu erreichen. Günter Mahlmann musste mich ja manchmal vom Pendel wegholen. Für mich war es selbstverständlich immer zu üben – bis tief in die Dunkelheit. Das ganze Leben ist üben. Wenn du dauernd übst, dann kannst du‘s! Nach meiner Laufbahn, wenn du nicht mehr oder nur noch wenig trainierst, dann wurde ich auch ungenauer. Das ist doch völlig normal, aber manche glaubten es damals nicht.

HSV total! blickt im ersten Teil der Uwe Seeler-Reihe auf Uwes Zeit beim HSV zurück: